Titelbild: Tim Erdmann
Am vergangenen Freitag ist das mittlerweile dritte Studioalbum der Leoniden erschienen. „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“ heißt das gute Stück und umfasst insgesamt 21 Songs, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Im Rahmen des Fast ein MS Dockville Festivals, auf dem die Band am Freitag ihr Release feierte, traf sich picky Sofia mit Sänger Jakob, um mehr über das Album und die Hintergründe zu erfahren. Das Interview lest ihr hier.
Happy Releaseday!
picky Sofia: Hey Jakob! Euer Album ist seit ein paar Stunden draußen. Wie geht es dir damit?
Jakob: Wahnsinniges Gefühl! Wahnsinnig gutes Gefühl, dass endlich… Okay… Warte. Ich hol direkt einfach mal dolle aus und mach es superkitschig:
Musik ist ja wertlos, wenn sie kein Publikum hat. Dass ist dann ja nur wie der Baum im Wald, der umfällt, den aber keiner gesehen hat. Das bringt dann nichts. Wenn Musik und Kunst nicht beobachtet wird, dann ist es weg. Und dieses Album haben wir jetzt in unserem Leoniden-Kosmos schon so lange fertig und so lange daran gearbeitet und heute ist der Tag, an dem Leute das spiegeln können, erleben können, feedbacken können, gut oder schlecht finden können. Einerseits fühlt man sich ein bisschen zerbrechlicher als sonst, weil man denkt: „aahhh mal gucken, wie Leute das finden“. Andererseits ist es das beste Gefühl der Welt. Es ist wie ein Geburtstag nur ohne älter werden, obwohl ich das auch nicht schlimm finde (lacht). Krasses Gefühl einfach!
Complex Happenings Reduced To A Simple Design
picky Sofia: Als außenstehende Person hat man das Gefühl, dass Complex Happenings Reduces To A Simple Design euer erstes Album ist, dass in sich selbst ein stimmiges Bild ergibt. Woher kam der Schritt, fürs dritte Album ein übergreifendes Konzept anzustreben?
Jakob: Man muss sagen, dass wir das so nicht von Anfang an geplant hatten. Wir haben jetzt nicht gesagt: „Wir machen jetzt ein 21 Song langes Konzeptalbum!“. Und ich würde auch nicht sagen, dass es ein Konzeptalbum in dem Sinne ist, dass zum Beispiel etwas in einer Chronologie erzählt wird oder so, sondern, dass sich das Album ein paar Themen rauspickt und stärker beleuchtet, als wir das im Vorfeld getan haben. Ich hab zum Beispiel mit Blue Hour das Thema Mental Health, Depressionen und Panikattacken richtig offensiv angeschlagen, was allerdings vorher auch schon in Zeilen von Alone und People drinsteckte. Das ist neu. Allerdings kam auch der Impuls das Platten-Cover so zu machen – diese brennende Welt, die ja auch mit dem Albumtitel Hand in Hand geht – total von unseren NO TALENT-Freunden. Die haben das Artwork für die Platte gemacht und als wir das gesehen haben, haben wir uns einfach „Ey, das ist es!“ gesagt und weitergeschrieben.
picky Sofia: Welche weiteren Leitthemen habt ihr euch denn für das Album noch rausgepickt, die stärker beleuchtet werden, als auf den Vorgänger-Alben?
Jakob: In dem Album steckt Nachhaltigkeit, Menschenwürde, Liebe und eben Worldpain at its best.
picky Sofia: Wo innerhalb dieses Happenings der brennenden Erde siehst du dich denn selbst, wenn man das überhaupt festmachen kann?
Jakob: Ich glaube, der Trick ist, genau das nicht zu tun. Das haben wir bisschen versucht auch mit dem Song Funeral aufzuzeigen. Da geht es quasi um eine authentische und echte Liebe zwischen zwei Menschen, aber in einer Welt, die eben fast vorbei ist. Wenn man diesen beiden Menschen zuschaut und reinzoomt, ist deren Liebe etwas total Wunderschönes und Magisches. Wenn man aber rauszoomt ist diese Liebe nur ein kleiner Fitzel Menschlichkeit in dem Ganzen. So fühlen wir uns natürlich auch. Ich sitze hier und darf mich über unser Release freuen, weil ich das Privileg habe Kunst zu machen und mit meiner Band spielen zu dürfen und trotzdem ersaufen parallel dazu Menschen im Mittelmeer und Menschen werden in Kabul von der Taliban abgeschossen. Das ist schon schwierig. Das ist dieses Weltschmerz-Ding, was viele mit sich rumschleppen. Man ist manchmal einfach erschlagen von der Kaputtheit der Welt. Deswegen muss man auch das Glück, was bei einem selbst da ist, dann umso mehr wertschätzen und wahrnehmen.
picky Sofia: Heißt das, dass Funeral die Idee des Albumtitels als Song am stärksten widerspiegelt?
Jakob: Ey, ich hab da so noch nicht drüber nachgedacht, aber würde dir voll recht geben! Eigentlich schon. Ich meine, Funeral ist ja auch die brennende Welt des Covers. Dadurch steht es dem Titel natürlich nahe. Dann behandelt der Song auch ein wirklich komplexes Thema auf 2:30 min. zusammengestaucht. Aber sonst ist diese Methode, ein komplexes Happening auf ein simples Design zu reducen (lacht), ja auch so ein bisschen das, was wir eigentlich immer machen. Wenn wir uns zu fünft beraten und einen Song schreiben, dann kommt am Ende immer etwas aus einem emotionalen Wirrwarr mit einem Zeitstempel von unter drei Minuten und 30 Sekunden raus. Unsere Songs sind häufig alles andere als simpel. Es ist ja auch kein leicht zu konsumierendes Album. Da kriegt man schon ein zwei Backpfeifen links rechts und erschrickt, was jetzt passiert ist. Ich meine, wir haben einen Song L.O.V.E. genannt – als ob man in nur einem Song die Liebe abhandeln könnte…Kann man halt nicht. Aber das war unsere Momentaufnahme und unsere simple Form davon.
picky Sofia: Habt ihr während des Schreibprozesses für das Album auch darüber nachgedacht welche Gefahren es in sich birgt, komplexe Sachverhalte aufs Simple herunterzubrechen?
Jakob: Absolut. In dem Simplifizieren steckt automatisch ja auch immer das Weglassen, Zusammenfassen und Herauskristallisieren einer Essenz drin, die das ganze Thema nicht widerspiegeln kann. Ich glaube, die einzige Gefahr haben wir bei New 68 gesehen. Uns war klar, dass wir das erste Mal einen offensiv politischen Song schreiben. Und uns war auch klar, dass das vielleicht auch nicht allen Menschen auf der Welt gefällt, was wir da zusagen haben. Aber das ist ein völlig ertragbares Risiko.
NEW 68 – Ein politisches Statement!
picky Sofia: Welche Parallelen habt ihr zwischen heute und der 68er-Bewegung gesehen, dass ihr den Song so nennen wolltet?
Jakob: Da gings vor allem um die starke und breitaufgestellte Demonstrationskultur, die um 68 herum so krass war. Wir waren an der 68er-Bewegung zwar nicht beteiligt…
picky Sofia: Ich auch nicht.
Jakob: …Und die meisten, die das hier lesen auch nicht. Wir wissen halt nicht, wie das genau damals war. Aber es hat uns durch Fridays For Future schon positiv erschlagen, wie viele laute U20-Stimmen es gerade gibt, die nicht mehr damit cool sind, dass sie politisch die Last der Generationen über sich tragen müssen. Früher auf den Demos auf denen wir waren, waren gefühlt höchstens 120 Leute. Natürlich war es cool damals, wenn 90 Leute bei einer Anti-Nazi-Demo in Lüneburg waren, weil es halt mehr als 50 waren. Aber dann spielen wir bei dieser Fridays For Future-Demo in Hamburg und da stehen dann einfach elftausend Schüler*innen! Das war krass einfach.
picky Sofia: Ich war auch bei der Demo, es war wirklich heftig!
Jakob: Ja, wirklich?! Mega!
picky Sofia: Ich hab auch noch Bilder von damals auf denen man sieht, wie nicht nur der ganze Rathausmarkt voll ist, sondern die Leute auch noch bis in die Mönckebergstraße hinein dastanden!
Jakob: Ja genau. Wie auf einem Oasis-Konzert! Ich dachte einfach so: „Wahnsinn, wie politisiert und mobilisiert die jungen Leute sind.“. Natürlich gibt es dann Leute, die sagen, dass die nur Schule schwänzen wollen. Selbst wenn zwei Prozent von denen, die da waren, „Schule schwänzen wollten“, ist das der erste Kontakt und die erste Identifizierung mit dem politischen-Ich. Das war einfach schön anzusehen, vor allem in einer Zeit, in der der Rechtsruck so laut ist wie lange nicht ist.
picky Sofia: Im Rahmen des Songs habt ihr Interviews mit Aminata (Bündnis 90/Die Grünen), Mattea (Sea-Watch) und Carla (Fridays For Future) geführt und auf eurem YouTube-Kanal veröffentlicht. In den Gesprächen sprecht ihr auch immer wieder von kleinen Momenten, die einen neu politisieren. Haben diese Gespräche bei euch einen weiteren Politisierungsprozess angestoßen?
Jakob: Oar ja, richtig krass! Bis auf Carla kannten wir unsere Gesprächspartnerinnen auch schon, aber wir haben noch nie so deutlich mit ihnen über Politik geredet. Ich glaube, was mich am meisten aus dem Zusammenhang der Gespräche inspiriert hat ist, wie parlamentarische Politik und Straßen-Politik zusammenarbeiten müssen. Dass halt nicht nur eine gesunde Demonstrationskultur die Welt alleine verändert, sondern auch Leute, die aus den Regierungen heraus etwas bewegen. Und was ich auch mitnehme ist, dass Aktivismus im Kleinen beginnen kann und keine Grenzen kennt.
picky Sofia: Ich hab in alten Interviews rumgewühlt und 2019 auf dem Kosmonaut Festival…
Jakob: Oh shit (lacht).
picky Sofia: Ja, jetzt geht’s los!
Jakob: Och nö, ey.
picky Sofia: …habt ihr in dem Interview mit DIFFUS gesagt, dass ihr…
Jakob: Dass wir keinen politischen Song machen.
picky Sofia: Richtig! Da musste ich tatsächlich stutzen. Die Fridays For Future-Demo, die ihr auf Instagram auch als Inspirationsquelle für den Song genannt habt, war nämlich am 24. Mai 2019. Das Kosmonaut Festival fand allerdings am ersten Juli-Wochenende, also mehr als einen Monat danach, statt. Wie passt das zusammen?
Jakob: Diese Demo hat krass nachgewirkt. Zum Zeitpunkt des Interviews waren wir noch gar nicht dabei neue Songs zu schreiben. L.O.V.E. steckte gerade mal in den Kinderschuhen. Da war uns das noch nicht klar. Dann als aber Funeral und das Plattencover standen kam eins zum anderen und wir haben gespürt, dass genug Impulse zusammenkommen, um es nochmal zu probieren.
picky Sofia: Ach, ihr habt vorher schon versucht einen politischen Song zu schreiben?
Jakob: Genau, wir haben’s probiert. Wir haben bei dem Album auf jeden Fall auch drei Anläufe gebraucht. Der Song mit Drangsal ist ja zum Beispiel auch ein politischer Song – der Song ist aber ein bisschen zickiger, würde ich sagen. Boring Ideas ist ein kleiner Zeigefinger in die Bubble rein, gegen so trendy Windschatten-Politik. So ein politischer Song kann jedenfalls schnell auch einen komischen Beigeschmack haben, wenn es zu viel Pathos hat, zu plattitüdig ist und so. Als dann aber New 68 kam wussten wir, dass es das jetzt ist. Ich musste auf jeden Fall auch oft ans DIFFUS-Interview denken, weil weder Djamin noch mir in dem Moment bewusst war, dass uns die Fridays For Future-Demo nachwirkend so inspiriert hat, dass wir darüber einen politischen Song schreiben würden.
picky Sofia: Welche Rolle hat Musik bei eurer persönlichen Politisierung gespielt?
Jakob: Wir alle wurden im Kern komplett durch Musik politisiert, hundert Pro! Wir sind alle in linken Zentren und in der Punk-Kultur politisiert worden. Ich spreche immer gerne davon, dass politische-Ich zu begreifen. Dass man eine Rolle spielen kann. Dass man merkt, dass man selbst ein mini kleines Zahnrad ist in dem Ganzen. Das zu begreifen, kam bei uns allen durch Punk-Musik. Ich würde wirklich sagen, dass mein Einstieg in die Politik zu 99 Prozent der Musik geschuldet ist. Wir als Band haben zwar alle deutsche Wurzeln, aber sind auch irgendwie aus der ganzen Welt zusammengepuzzelt. Das politisiert einen natürlich auch – gerade, wenn es um Flüchtlingspolitik geht. Musik war aber auf jeden Fall der Startschuss.
Albumproduktion und die beste Mund-Trompete Deutschlands
picky Sofia: Fürs Album habt ihr euch mit Produzent Markus Ganter zusammengetan. War das eine bewusste Entscheidung nach zwei Alben jemand neues mit ins Boot zu holen?
Jakob: Auf jeden Fall! Keineswegs, weil es mit den anderen schlecht lief oder so. Wir hatten nur Lust, etwas Neues auszuprobieren. Wir hatten anfangs tatsächlich bisschen Schiss for Markus, weil er schon so große Dinger rausgehauen hat. Wir sind alle superneurotische und anstrengende Menschen, wenn es um unsere Musik geht. Da hatten wir Angst, dass wir ins Studio kommen und er uns erstmal erzählt, wie es läuft. War dann aber natürlich überhaupt nicht so. Markus war einer der entspanntesten Menschen, mit denen wir je zusammengearbeitet haben. Magnus Wichmann war auch mit dabei. Der ist ein langjähriger Freund aus Leipzig von uns, den wir auch noch aus Punk-Zeiten kennen. Die beiden waren eine übelst krasse Kombi.
picky Sofia: Hat Markus eigentlich die Trompeten fürs Album eingespielt? Für die Casper Liveband holt er die ja auch gerne mal raus.
Jakob: Ja (lacht). Der hat auf jeden Fall immer eine Tröte drübergelegt. Manchmal ist es noch zusammen mit Synthie-Trompeten gelayert. Magnus war dann eifersüchtig, weil er nämlich keine Trompete spielen kann. Er meinte aber zu uns, dass er die beste Mund-Trompete Deutschlands spielt. Dann hat er sich ein Mikro aufgebaut und eine Trompete nachgeahmt. Das hört man bei Home am Ende.
picky Sofia: Die Mund-Trompete hat es auf Album geschafft?!
Jakob: Yes!
picky Sofia: Guter Funfact auf jeden Fall.
Anm. d. Verf.: Skippt beim Song doch mal auf 1:55 min. vor
picky Sofia: Apropos Home: Ihr habt in dem Song eine Nevermind-Referenz eingebaut.
Jakob: Das war so lustig. Lennarts Idee. Einfach genial.
picky Sofia: Wie geht es dir, vielleicht auch rückblickend auf Nevermind, mit der jetzigen Erkenntnis dein Zuhause gefunden zu haben?
Jakob: Wenn man’s so sieht kann man auf jeden Fall sagen, dass Nevermind-Jakob seinen Platz gefunden hat. Mir geht es damit absolut gut.
Sound und musikalische Vielfalt
picky Sofia: Inwiefern hat sich euer Sound im Vergleich zu den Vorgänger-Alben gewandelt?
Jakob: Auf jeden Fall klingt es weniger glatt und steril. Es hat einfach mehr Wumms. Und das war das, was wir bei den Alben davor selbstverschuldet nicht richtig hinbekommen haben. Das Album ist viel näher an dem, wie wir uns auf der Bühne fühlen.
picky Sofia: Man merkt auf jeden Fall auch, dass ihr Genregrenzen noch viel weiter ausgelotet habt. Warum habt ihr euch auf Complex Happenings Reduced To A Simple Design musikalisch noch mehr zugetraut?
Jakob: Ich glaube, dass das einerseits einfach an uns lag, weil wir mehr ausprobieren wollten. Andererseits ist es auch der Pandemie geschuldet, die uns viel Zeit für Experimente gegeben hat. Aber natürlich liegt es auch daran, dass es dann letztendlich ein Doppelalbum geworden ist. Wenn man auf einem Album nur 12 Songs hat, dann fallen Ausreißer schwerer ins Gewicht. Bei einem Album mit 21 Songs kannst du halt einfach alles machen. Wir haben uns mit diesem Album richtig dolle freigespielt. Völlig klar, dass Leute sagen werden: „Das ist zu wild, die können sich nicht richtig entscheiden, viel zu viel musikalische Information.“. But I don’t care! Bei den meisten Playlists, die sich Leute privat zusammenstellen, ist es genauso Kraut und Rüben. Da ist man dann aber immer sehr stolz darauf, dass man so ein breitaufgefächertes Genre-Verständnis hat. Aber von Bands wird dann immer noch verlangt, dass sie sich auf einen Vibe konzentrieren… Wir haben einfach geopfert, dass es so ein Nebenbei-Album ist. Wenn man bei unserem Album einmal unaufmerksam ist, fragt man sich, ob Spotify eine andere Band angemacht hat – das ist geil.
picky Sofia: Bist du angesichts dessen auf einen Song besonders stolz?
Jakob: Ich finde das immer ein bisschen unfair den anderen Songs gegenüber. Aber bei mir es auf jeden Fall Disappointing Life. Weil der Song einfach Grunge und Soul so zusammenkriegt, wie das schon länger in meinem Kopf stattfindet. Ich finde, das gehört total zusammen. Der Song ist einfach so geil verrückt.
picky Sofia: Würdest du vor diesem Hintergrund sagen, dass ihr euch neu erfunden habt?
Jakob: Ne! Wir haben uns noch mehr GEFUNDEN, glaube ich. Auf der Reise zum Kern von Leoniden sind wir wesentlich mehr Meter herangekommen als vorher.
Embracing the Losertum
picky Sofia: Ihr habt im Vorfeld Freaks als Single zusammen mit Pabst rausgebracht. Wer sind die Freaks, die zusammenhalten müssen?
Jakob: Definitiv wir. Pabst verkörpern dieses Embracing the Losertum-Ding aber auch einfach so geil. Diesen Stempel von oben herab bekommen zu haben und sich in der Rolle stark zu fühlen steckt da auf jeden Fall auch drin.
picky Sofia: Generell hat man das Gefühl, dass euch der Aspekt von Gemeinschaft in eurer Musik sehr wichtig ist. Egal, ob jetzt „the kids will unite“ oder „we are the freaks we stay together”. Der Gemeinschaftsgedanke findet bei euch oft statt. Warum ist es euch so wichtig von einem „wir“ zu sprechen?
Jakob: Ich würde ehrlich gesagt sagen, dass das einfach ein eins zu eins Abbild davon ist, wie wir auch normalerweise konjugieren. Man spricht einfach häufig von einem „wir“, von so einem diffusen „wir“. Das gibt einem ja auch Kraft und eine Zugehörigkeit. Ich glaube, „ich“, „du“ und „wir“ ist die pure Menschlichkeit. Wir reden dafür nicht so oft von einem „ihr“. Nicht so wie der Rage Against The Machine-Zeigefinger.
Freies Psychologisches Jahr für alle?
picky Sofia: Ein Song, der im Vorfeld auf jeden Fall auch viel besprochen wurde, war Blue Hour. Habt ihr die Hoffnung, dass Themen wie Depressionen und Panikattacken auch durch Musik und Kunst enttabuisiert werden können?
Jakob: Ich hab auf jeden Fall die Hoffnung. Ich hab auch schon das Gefühl, dass es langsam immer mehr in das Grundverständnis der Gesellschaft rückt, dass man sich über mentale Gesundheit Gedanken macht und anerkennt, dass das ein wichtiges Thema ist. Ich glaube aber auch, dass es der Indie-Bubble am leichtesten fällt, weil die Kommunikation von Befindlichkeiten da auch irgendwie bisschen dazugehört. Ich hoffe, dass Blue Hour bisschen dazu beiträgt, das Thema zu entstigmatisieren. Ich würde aber auch auf keinen Fall sagen, dass Künstler oder Personen des öffentlichen Lebens, die psychische Probleme haben, verpflichtend sind, das öffentlich zu machen. Es ist viel eher so, dass ich mir eine Gesellschaft wünsche, in der Depressionen kein Thema ist, das so sensationell ist.
picky Sofia: Was braucht es vielleicht auch auf politischer Ebene, damit man noch offener mit dem Thema umgehen kann?
Jakob: Es braucht einfach bessere Strukturen, die das viel besser auffangen. Ich finde die Vorstellung richtig gut, dass man statt von Zivildienst ein Freies Psychologisches Jahr einführt und sagt: nach der Schule hat man ein Jahr Zeit, um sich um sich selbst zu kümmern. Man braucht mehr Hände, die einem gereicht werden. Man braucht leichtere Einstiege in die Strukturen, die einem helfen können – da ist schon eine große Hürde. Was ich auch noch wichtig zu sagen finde: Gerade, weil uns Spaß so wichtig ist, es bei uns gut läuft, wir keine krassen Substanz-Probleme haben, die Psychosen auslösen, fanden wir es so wichtig zu zeigen, dass es auch jemanden wie mich erwischen kann. Das spiegelt die Normalität wider. Es ist nicht immer eine Verkettung von Ereignissen, sondern manchmal auch einfach eine Krankheit. Schnupfen kriegt man, wenn man sich ansteckt. Krebs kriegst du vielleicht einfach so. Das hat man nicht in der Hand.
Was am Ende bleibt…
picky Sofia: Disappointing Life wirkt im Albumkontext fast schon ironisch. Seid ihr dort am Punkt der Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit angekommen?
Jakob: Schon ein bisschen. Wir wollten auch das Resignierende mit aufs Album kriegen. Man kann nicht jeden Tag vollgas politisch nach vorne arbeiten. Manchmal fühlt man sich eben auch einfach erschlagen.
picky Sofia: In dem Album-Closer Applause singst du „applause for the things we lost“. Was bleibt also am Ende von der brennenden Erde übrig?
Jakob: Ein Häufchen Asche wahrscheinlich.
picky Sofia: Müssen wir uns also zum Ende hin mit einer Niederlage abfinden?
Jakob: Schwierig zu sagen. Ich glaube, in Applause gibt es auch das Zurückschauen und den Respekt vor den ganzen guten Sachen auf der Welt. Aber ich tu mich schwer damit, dass es ein negatives Gefühl sein soll, das bleibt. Applause hat auch Ähnlichkeit zu den Heartbreak-Songs auf dem Album. Wenn man sich trennt verliert man viel Gemeinsamkeit, zollt aber dem Respekt, was man hatte. Rhetorisch wurde aber in Applause schon irgendwie die Schlinge gezogen. Wenn man es so sieht hat das Album ein trauriges Ende.
Blankspace à la Leoniden
picky Sofia: Wie bei jedem Picky-Interview kannst du jetzt noch in einem Blank Space loswerden was du willst.
Jakob: Ey, wir haben über so viel geredet… Normalerweise weiß ich an dieser Stelle immer was ich sage. Aber gerade ehrlich gesagt nicht.
picky Sofia: Dann lassen wir ihn leer.
Jakob:
Jetzt ins Album reinhören:
Leoniden live 2022:
05.03. – Stuttgart, Wagenhallen (hochverlegt)
06.03. – Salzburg, Rockhouse (AT)
07.03. – München, Muffathalle
09.03. – Wiesbaden, Schlachthof
10.03. – Leipzig, Felsenkeller (hochverlegt)
11.03. – Köln, Palladium (hochverlegt)
12.03. – Berlin, Columbiahalle
17.03. – Hamburg, Edel Optics Arena (hochverlegt)
18.03. – Bremen, Pier2
19.03. – Osnabrück, Hyde Park
15.04. – Bern, Dachstock (CH)
16.04. – Winterthur, Salzhaus (CH)
19.04. – Wien, Arena (AT)