Maggie Rogers (Foto: Kelly Jeffrey)
Maggie Rogers hat in den letzten Jahren auf vielen Ebenen eine heftige Veränderung durchgemacht. Die an eine Fensterreklame erinnernde, knallrote Promo für ihr neues Album „Surrender“ oder ihr rebellischer Look bilden dafür nur zwei von etlichen Beispielen ab. Alles andere als leise präsentiert uns Maggie Rogers mit ihrem neuen Album ziemlich viel Stoff, um ganz schön viel nachzudenken. picky Fe durfte vorab bereits ihre Lauscher spitzen – ob und wie gut ihr die insgesamt 12 Songs gefallen haben, lest ihr hier!
Im Zuge ihrer provokanten Albumwerbung mag der Albumtitel „Surrender“, also auf Deutsch „Aufgeben“ oder „Kapitulation“, auf den ersten Blick stutzig machen. Kapitulation als Ausdruck von Provokation oder doch Provokation als Ausdruck von Kapitulation – na was denn jetzt? Mit dem Videotrailer zu ihrem neuen Album löst Maggie Rogers die Verwirrung auf und zeigt uns, was für sie hinter dem Wort „Surrender“ steckt. Falls ihr euch also anschauen möchtet, wie Provokation und Kapitulation doch Hand in Hand gehen können, findet ihr hier als eine Art Vorspeise auf die im Anschluss folgende Albumkritik hier den besagten Trailer.
Die von picky Fe ernannte „Queen-of-Promo“ Maggie Rogers schmeißt während ihrer Promophase mit Meisterwerken nur so um sich. Eines dieser Kunstwerke seht ihr hier:
Wir starten mit Song Nummer eins: „Overdrive“
Klanglich macht der Sound in „Overdrive“ dem Songtitel bereits nach ein paar Sekunden auf ganz besondere Art alle Ehre. Denn die mit dem Effekt des !Achtung! Overdrive gespielte E-Gitarre platziert einzelne Akkorde im Raum, wodurch eine klangliche Schwere entsteht. Die Kulisse klingt futuristisch verträumt, aber auch ein Stück weit metallen. Über das klangliche Gewaber legen sich kurz darauf präsente Drums und Maggies verhallte Stimme. Maggie Rogers wirkt in sich ruhend und weniger abenteuerlich, als man sie noch von „Alaska“ im Gedächtnis hat. Ähnlich, wie die Hörer*innen in Maggies gehaltvolle Welt hineingeworfen werden, scheint sich Maggie auch selbst im Song zu fühlen. So singt sie immer wieder die Zeile „[You] put me in overdrive.“ Ohne richtigen Chorus, aber mit besagter Songline ausgestattet, holt „Overdrive“ die Hörer*innen ziemlich vielsagend ab und hinterlässt eine freudige Erwartung auf das, was wohl noch kommt.
Eine zeitlose Romcom als Song
„I knew for my own sanity I needed to make something that sounded hopeful – some musical world I could escape to. I watched „10 Things I Hate About You“ on a plane and thought it could be fun to make something that sounded like it could run in the end credits of a romcom. (…) Those songs always seemed so sure of themselves. Joyful. Everything tied up with a bow. A happy ending, that’s what I was craving. Needed it more than anything.“
Maggie Rogers auf Twitter über den zweiten Song des Albums mit dem Titel „That’s Where I Am“
Und genau nach dieser in ihrem Tweet beschriebenen, zeitlosen Romcom klingt der zweite Song „That’s Where I Am“ auch. Ich selbst fühle mich beim Anhören in meine Teenie-Zeit zurück katapultiert und stelle mir vor, wie ich in Jeansschlaghosen in meinem boygroup-plakatierten Teeniezimmer sitze und über meinen Discman einer Bravo-Hits CD lausche. Mein nostalgisches Gefühl, ähnlich wie die Musik: Irgendwas zwischen gutem 90‘s Vibe und dem neusten Song von Miley Cyrus. Und auch die Lyrics passen zu diesem Gefühl, denn welches Thema passt besser zu Teenie-Vibes als die Liebe? Eeeben, wohl keins!
Jetzt wird’s Hot Hot mit „Want Want“
Der nächste Song „Want Want“ wurde, ebenso wie „That’s Where I Am“, bereits vorab als ausgekoppelte Single veröffentlicht. Auch in diesem Song geht es um Liebe, aber um eine andere Ebene dessen. Kurz gesagt: es geht um Sex. Und dabei um den Zwiespalt von „Oh can we take this slow?“ und „It’s too good to resist.“ Aut Twitter postet Maggie einige Informationen zu den Hintergründen des Songs „Want Want“:
Wer noch mehr über Maggies Song „Want Want“ erfahren will, sollte sich außerdem unbedingt das Musikvideo anschauen. Darin zeigt Maggie, wie okay es doch ist, den eigenen Sehnsüchten zuzuhören und sich selbst dafür nicht zu verurteilen! Zum Musikvideo zu „Want Want“ gelangt ihr hier.
Back to the roots?!
Der Song „Anywhere With You“ kommt ziemlich melancholisch daher und erinnert an den nachdenklichen Indie-Pop, den man von Maggie Rogers vielleicht noch im Ohr hat. Dass die Hook mit Eingängigkeit besticht, ist dennoch keine Überraschung. Lyrisch greift der Song tief und verarbeitet im Text den schlechten psychischen Zustand einer nahestehenden Person. Beim Schreiben und Produzieren hat Maggie sich, wie auch bei ein paar anderen Songs auf dem Album, mit ihrem Kindheitsfreund Samuel Holden Jaffe (Del Water Gap) zusammengetan.
„Pack up all your shit and put it in the back.
Maggie Rogers – Anywhere With You
Maybe the miles will make up.
For the things you lack.
I’ll go anywhere.
Anywhere with you.”
Der Song-Favorit des Albums
Und hier kommt er, mein absoluter Lieblingssong des Albums! „Horses“ hat mich bereits beim ersten Hören umgehauen. In einer ihrer Instagram-Storys erzählt Maggie über den Song: „It’s not actually about horses. It’s about trying to feel something in time when I felt my numb.“ Bei mir löst der Song eben Beschriebenes aus: eine heftige Leidenschaft und alles andere als Taubheit oder gar Ohnmacht. Die Stimmung in „Horses“ wirkt im ersten Moment so, als sei der Song im knarzenden, wackligen Kleiderschrank von Oma mit einer schrummligen Gitarre aufgenommen worden. Die Gitarre spielt dabei nicht ganz tight auf den Klick, dafür aber simpel, nah und ehrlich. Auch, wenn der anfängliche Kleiderschrank-Sound im Verlauf des Songs immer mehr von synthetischen Klängen abgelöst wird, schwingt besagte Simplizität bis zum Ende des Songs mit.
Dass „Horses“ am 15.07. bereits vorab als ausgekoppelte Single erscheinen würde, konnte zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Review natürlich noch niemand ahnen. Als letzte Vorspeise vor dem großen Album-Release hätte Maggie, zumindest für mein Empfinden, keinen passenderen Song auswählen können. Ein bisschen schade ist es dennoch, dass mein vermeintlicher Geheimtipp des Albums spätestens ab jetzt wohl kein Geheimtipp mehr ist.
Mehr Infos über „Horses“ findet ihr hier:
Maggie erklärt’s: Warum Cool-Sein einfach cool ist
„Be Cool“, mit zu großer Sonnenbrille – auch im Schatten. Ungefähr so klingt der sechste Song des Albums. Und natürlich liefert Maggie Rogers in diesem Song eine deutliche Hommage an’s Cool-Sein. „Cool“ – das bedeutet für Maggie, sich für einen Sommer lang wieder wie eine eigenbrödlerische Jugendliche zu fühlen und dabei vor allem die kleinen, ehrlichen Momente des Lebens wertzuschätzen.
Florence + The Machine??
Falls jemand noch auf der Suche nach der Titelmelodie für die fünfte Staffel von Stranger Things sein solltet, hätte ich da vielleicht was! Denn der nächste Song „Shatter“ gibt uns knallharten 80s-Sound gepaart mit stimmlicher Moderne auf die Ohren. Und welches Feature könnte besser zur vintage Stimmung des Songs passen, als die mystische Stimme von Florence Welch, der Sängerin von Florence + The Machine? Tja, das hat Maggie sich wohl auch gefragt und dann ziemlich zügig Florence Welch in’s Tonstudio einberufen. So hat Florence auf „Shatter“ nicht nur einige Backings eingesungen, sondern auch das Tamburin eingespielt.
Voller Hingebung besingen Maggie und Florence vor allem in der Bridge ihre Sehnsucht nach neuen Held*innen:
„And I’ve got all this anger trapped so deep inside.
Maggie Rogers – Shatter
That started burning the summer my heroes died.
And I just wish that I could hear a new Bowie again.
Again again again again.”
Ein Hilfeschrei und das Warten auf Veränderung
Verzweifelt und geladen mit viel Schwere fleht Maggie Rogers in „Begging For Rain“ nach Regen. Nach dem einen Regen, der metaphorisch das Feuer vielerorts löschen soll. Als Maggie im Song endlich die Worte „Begging for rain“ singt und dazu auch noch zeitgleich das Schlagzeug einsteigt, klingt dies wie die ersehnte Erlösung. Ab Minute 3:09 passiert dann mein persönliches Highlight im Song: musikalisch wird ein leichtes Unwetter imitiert, welches sanft zu Stürmen und Tosen beginnt. Und dann am Ende – plötzlich Ruhe. Man hört nur noch Maggie Rogers klare Stimme, mit welcher der Song zu Ende geht. So klingt das sensüchtige Flehen nach Regen doch mit einer sonnigen Art von Glückseligkeit aus.
Ebenso lautmalerisch geht es mit „I’ve Got A Friend“ weiter, indes Einstieg man Gekicher und Gesprächsfetzen von zwei jungen Frauen, eine davon ist Maggie, hört. Der Song ist ähnlich einer Klanggeschichte aufgebaut. Das einzige sich wiederholende Element bildet die Zeile „I‘ve got a friend“. Denn als Ode an die Freundschaft erzählt der Song beherzte Geschichten, die gefüllt mit besonderen Erinnerungen sind.
Achtung, macht euch bereit – jetzt kommt eine mega Überleitung!
Falls ihr, ähnlich wie Maggie in „I’ve Got A Friend“, eure*r besten Freund*in auch mal zeigen wollt, wie wichtig er*sie für euch ist, hätte ich da vielleicht eine Idee. Wie wär’s zum Beispiel mit feinripp WantWant-Unterwäsche oder einem WantWant-Kondom? Schaut euch den kreativen Merch zu „Surrender“ mal an – es lohnt sich!
Im zehnten Song „Honey” zeigt Maggie uns ihre persönlichen Grenzen auf. Dies tut sie – na klar – auf ziemlich empowernde und gleichzeitig nostalgische Art und Weise. In den Lyrics erzählt sie von einer notgedrungenen Trennung von einem oder einer Geliebte*n. Und nun fragt Maggie besagte Person ganz hämisch:
„I started out trying to do what’s right.
Maggie Rogers – Honey
Lost it all in the middle of the night.
If you’re wondering what you should do with your life.
Honey if I knew I would tell you, wouldn’t I?”
Der ziemlich romantische Endspurt
„Symphony“ ist für mich lyrisch DER Prototyp eines zeitgenössischen Lovesongs. Denn gerade in unseren Zeiten ist Liebe nicht mehr lediglich ein “Ja” oder ein “Nein”, sondern auch viel, viel mehr dazwischen. Die Frage nach Ängsten und Unsicherheiten bilden in „Symphony“ dabei nur Bruchstücke der Komplexität von Liebe ab. Im Song bestärkt Maggie sowohl sich selbst, als auch eine geliebte Person, weiter stark zu sein und die innere Leere nicht überhand nehmen zu lassen. Sie besingt ihr Gegenüber auf bewegende und gleichzeitig beruhigende Weise. Und auch wenn in „Symphony“ die Welt unterzugehen scheint, möchte Maggie genau an diesem zerbrochenen Ort mit ihren geliebten Menschen bleiben.
Trommelwirbel – wir haben’s geschafft, der letzte Song ist angebrochen! Bereits der Songtitel „Different Kind Of World“ drückt aus, was später im Song noch detaillierter ausformuliert wird: Der Wunsch nach einer anderen, vielleicht besseren Welt. Mit der Zeile „One last song“ beginnt Maggie in ganz nahbarer Atmosphäre zu singen. Es klingt, als würde sie für uns ganz privat im Wohnzimmer auftreten, um uns abschließend etwas aus ihrer Seele mit- und zurückzugeben. Und damit nicht nur Maggies leise Töne in unseren Köpfen nachhallen, folgt auf ihre gesungene Preach noch ein mitreisender Einstieg des Schlagzeugs und ein E-Gitarrensolo der Meisterklasse. So entlässt uns Maggie Rogers schlussendlich mit den ehrlichen Worten:
„When we’re riding all together
Maggie Rogers – Different Kind Of World
I’m a different kind of girl.”
So, jetzt aber mal in a nutshell – wie war das Album?
Fassen wir nochmal zusammen: Gesanglich zeigt sich Maggie Rogers facettenreich, emotional und technisch versiert. Für mich klingt sie auf „Surrender“ wie die hotte Sängerin einer Girlgroup aus den 90ern mit ziemlich viel Attitude. Zusätzlich feuert die Präsenz der E-Gitarren und der Drums die Songs auf rebellische und verträumte Art und Weise an. Inhaltlich hat Maggie Rogers vor allem das Wort „Surrender“ auf ein ganz neues Level gebracht. Durch Ehrlichkeit, Schwäche und Rebellion zeigt sie, was „Aufgeben“ wirklich bedeuten kann. Und zwar: die Maske abzunehmen und sich ganz nackt zu zeigen. Nicht nur in Form eines vieldeutigen Albumtitels, sondern auch anhand von tiefgreifenden und mutigen Lyrics. Und: Maggie zeigt uns auf Twitter noch eine weitere, ziemlich coole Verbindung zum Albumtitel! Maggie hat im März dieses Jahres erfolgreich ihren Master im Fach „Religion and Public Life“, einem Studiengang, in dem es um die Rolle von Religion und Gemeinschaft in der Gesellschaft geht, abgeschlossen. In einem Interview erzählt Maggie, dass sie ihre dort gewonnenen Erkenntnisse auch in ihre Musik einbauen möchte. Und jetzt schaut euch doch mal den Titel von Maggies Masterthesis und dann nochmal den Titel des Albums an – na, wem fällt da was auf?
The Feral Joy Tour
Ziemlich treffend fasst Maggie auf Twitter das zurückbleibende Gefühl ihres Albums mit einer kleinen Anspielung auf ihre bevorstehende „The Feral Joy Tour“ zusammen. Passender lässt sich dieser Artikel somit wohl nicht beenden!
Hört doch mal rein!