MOA und Mia Morgan teilen das Imposter-Syndrom miteinander. Auf ihrer gemeinsamen Single verhandeln die beiden Künstler*innen die damit verbundenen Hürden des Artist-Daseins. (Foto: Julie Himmelstoss)
Auf „IMPOSTER/POPSTAR“ machen Mia Morgan und MOA zum aller ersten Mal gemeinsame Sache – und das obwohl sie in Kassel zusammen zur Schule gegangen sind.
Picky: Hey MOA, hey Mia. Ihr seid in der selben Kleinstadt in der Nähe von Kassel aufgewachsen, zur selben Schule gegangen und eure Eltern waren sogar Arbeitskolleg*innen. Wann habt ihr voneinander gewusst, dass ihr beide Musik macht und von dem Karriereweg des jeweils anderen als Indie-Artist erfahren?
Mia: Zu der Zeit, in der wir gemeinsam auf der Schule waren, wussten irgendwie alle, dass MOA der ist, der singt und Musik macht. Ich hab mich damit noch zurückgehalten, ich war nur der Clown. Ich hab MOA immer mal auf dem Schulhof gesehen und gedacht, na der sieht aus wie jemand. Also, wie ein RICHTIGER Musiker. Auf Distanz hab ich später dann auch mitbekommen, als er es ernstzunehmen und zu verfolgen begonnen hat.
MOA: Ich habe Mia anfangs als eine Art Person des öffentlichen Lebens in Kassel wahrgenommen, dort war sie schon früh ein kleiner Star zu dem man hinauf geschaut hat. Als sie schließlich ihren ersten Release mit “Waveboy” hatte, habe ich erfahren, dass sie auch Musik macht und das vor allem direkt ziemlich erfolgreich. Ich war beeindruckt von der schnellen Professionalisierung und ihrem eigenen durchsetzungsstarken Sound und habe ab da immer ihren Weg verfolgt.
Picky: Dass ihr irgendwann mal ein Feature zusammen macht, ist doch Schicksal, oder?
Mia: Irgendwie find ich es richtig heimelig und andächtig, ja. Als hätte es so sein müssen!
MOA: Es ist ein positives Schicksal und ich freue mich sehr darüber, dass es so natürlich und einfach geklappt hat.
Picky: Warum dann gerade jetzt?
Mia: Angefreundet haben wir uns erst so richtig im letzten Jahr. Ich weiß nicht mehr genau, wie, aber nachdem wir immer nur wohlwollende Bekannte auf Distanz in der selben Stadt waren, haben wir uns genau dann besser kennengelernt, als ich erstmal wieder aus Berlin weg und MOA nach Berlin gezogen ist. Ohne es zu wissen, waren wir einander in vielerlei Hinsicht immer sehr ähnlich. Jetzt als Erwachsene retrospektiv dieses „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“-Syndrom, das uns über unsere Zeit auf der Schule geplagt hat, aufzuarbeiten, hat uns näher gebracht.
MOA: Gut Ding will Weile haben. Durch unsere verbundene Vergangenheit und ähnliche Ziele sind wir ziemlich schnell nicht nur kollegial, sondern auch freundschaftlich zusammengewachsen und haben uns auch viel über unser Schaffen als Musiker*innen ausgetauscht, gegenseitig Demos gezeigt und ziemlich schnell kam dann auch die Idee mal gemeinsam einen Song zu schreiben.
Picky: In eurer gemeinsamen Single “IMPOSTER/POPSTAR” sprecht ihr davon, dass ihr bloß ein albernes Theaterstück aufführen würdet, nichts von eurer Kunst wahr sei und ihr euch nicht zugestehen könntet, was ihr bis hierhin geschafft habt. Gibt es aber auch Momente, in denen das Gegenteil der Fall ist? In denen ihr euch das Popstar-Sein genehmigen könnt?
Mia: Auf meiner vorigen Tour im November 2023, ja. Da hab ich mich genau so gefühlt, wie ich mich immer fühlen will. Anerkannt, gesehen, gewollt. Das wünschen sich natürlich alle Menschen, egal, welchen Beruf sie ausüben. Aber als Künstlerin ringe ich immer nach dieser gefühlten und angenommenen Daseinsberechtigung. Schon lustig, ich mach das hier seit, Pandemiejahre ausgenommen, vier Jahren. Aber es ist ein ständiges Auf und Ab. Auf einer eigenen Tour ist dieses Gefühl des „Ich bin das wirklich und das ist mein Leben“ dann endlich besonders präsent.
MOA: Sobald ich auf einer Bühne performe und das machen kann, was ich liebe, fühle ich mich genau richtig in meiner Haut. Ich stehe seit meinem 16. Lebensjahr auf Bühnen und spiele Konzerte, immer als Solokünstler und Indie-Artist. Ich vergesse dennoch ganz oft, was ich mir in den letzten 12 Jahren auf der Bühne und mit meinen Releases bereits erarbeitet und aufgebaut habe. Man erwischt sich immer wieder dabei sich vor allem durch Social Media mit andern Künstler*innen zu vergleichen, Zahlen auf Spotify zu viel Bedeutung zu geben und seinen Wert daran zu messen. Dabei vergisst man oft, dass es eigentlich um die Kunst geht.
Mia Morgan und Band bei ihrem Tourabschluss in Berlin, 2023.
Picky: Hattet ihr, bevor ihr Artists wart, auch schon mit dem Imposter-Syndrom zu kämpfen oder kam das erst mit dem Künstler*innen-Dasein?
Mia: Ich hatte das schon auf tumblr. Ich hatte immer das Gefühl, die Fotos, die ich von mir poste, haben nicht dieses gewisse Extra der Bilder aller anderen. Ich hab immer gedacht, man sieht mir schon über die Internetpräsenz an, dass ich schlechter und anders bin als alle anderen coolen Internet-Girls.
MOA: Ich hatte schon immer das Gefühl mich beweisen zu müssen und einen großen Drang nach Perfektionismus um nicht in meinen Fähigkeiten angezweifelt zu werden. Vor allem kommen diese Gefühle hoch, wenn ich an unerwartete “Prüfungssituationen” denke. Ich habe erst letztens wieder davon geträumt, dass ich spontan auf einer Bühne performen muss und es nicht hinbekomme. Mittlerweile kann ich mein Imposter-Syndrom in anderen Bereichen gut abfangen, in der Kunst ist es dennoch häufiger präsent.
Picky: Geht Popstar überhaupt ohne Imposter oder hängen die beiden kausal miteinander zusammen?
Mia: Das kommt, glaube ich, darauf an, mit welchen Stellenwert man Künstlertum von Kindesbeinen an vermittelt bekommt, wie man in der Jugend geprägt wird, und ob Musikmachen der „erste“ Karrierewege ist oder etwas, das sich so ergeben hat. Ich hab erst letztes Jahr wirklich langsam begonnen, das anzunehmen, dass das mein Beruf, mein Leben ist. Dass ich nicht doch wieder mehr für die Uni und meinen Abschluss oder doch noch eine Ausbildung mache.
MOA: Ich glaube, dass man das Imposter durch äußere Erfolge als Popstar oberflächlich vielleicht gut unterdrücken kann, es aber bei vielen Artists immer mitschwingen wird. Wichtig ist für sich selbst eine eigene Definition des Wortes “Popstar” oder in dem Schaffen als Künstler zu setzen und sich nicht von äußeren Faktoren der Bestätigung abhängig zu machen. Zumindest hilft mir das dabei mit diesem Thema umgehen zu können.
Picky: Weiter heißt es im Song „Ich schaufel mir mein Grab“. Tut ihr das als Indie-Artists wirklich selbst oder gibt es andere, größere beteiligte Schaufeln?
Mia: Die Tools, die uns von den sozialen Medien zur Vermarktung unserer Kunst zur Verfügung gestellt werden, fühlen sich manchmal wie diese Schaufel an. Die Promo für meine vorige Single „Gift“ hat in den Online-Algorithmen nicht bestanden. Das hat mich persönlich richtig zurückgeworfen. Ich hab, im selben Bild gesprochen, geackert ohne Pause, und es hat keine Früchte getragen, weil mir artifizielle Intelligenz die Ernte versaut hat. Das ist gruselig und frustrierend.
MOA: Wie Mia es perfekt beschreibt, wird es besonders als Indie-Artist immer schwerer, Reichweite für die eigene Kunst schaffen zu können. Man baut immer mehr ein Luftschloss auf und investiert Unmengen an Zeit, Liebe und Schmerz in seine Leidenschaft, hat es am Ende dennoch nur bedingt in der Hand. Vielleicht sind die Selbstverständlichkeit mit der heutzutage die Musik konsumiert wird die Hände und die Mechanismen der Industrie die Schaufel, welche langsam und stetig Massengräber für das Schaffen von Kunst und Musiker*innen graben.
Picky: Wie hat sich euer Blick auf die Musikindustrie und auf euch selbst verändert, seitdem ihr Musik veröffentlicht?
Mia: Ich würde hier so gern etwas tolles, erbauliches sagen, aber ich bin einfach nur selbstkritischer geworden. Spätestens seit „FLEISCH“ (die Albumrezension gibt’s hier) sind die potenziellen Betrachter*innen meines Ganzen Seins hinter meine Augen gezogen. Ich betrachte mich und alles was ich tue seitdem immer auch aus den Winkeln von Personen, die mich potenziell scheisse, peinlich, hässlich finden. Dass es da auch die gibt, die mich cool, interessant und hübsch finden, vergess ich leider öfter. Als ich noch allein mit meiner Kunst war, habe ich über sie gerichtet. Auf diese Verbundenheit zu meinem Tun und Sein will ich mich wieder berufen.
MOA: Seit ich Musik veröffentliche haben sich viele Ziele und der Blick auf die Industrie stark verändert. Ich bin kompromissloser geworden und habe mir einen Weg geschaffen, die Kunst zu machen, die ich liebe und nach außen tragen möchte. Das ist der große Vorteil, wenn man möglichst independent Musik veröffentlicht. Dennoch bewegt man sich hier immer ziemlich nah an der Klippe und es gibt wenig Sicherheiten. Der Blick auf mich selbst hat sich dadurch dahingehend verändert, dass ich mir viel mehr selbst vertraue als früher und weniger Feedback von außen benötige, um meine Kunst zu rechtfertigen oder gut zu finden.
Picky: Mia, du hast vor kurzem ein Statement (hier nachlesen) veröffentlicht, indem du vor allem dafür sensibilisiert, wie die Sozialen Medien in ihrer Gatekeeping-Funktion negativen Einfluss auf die Selbst-Promotion von Musik nehmen. Was muss sich ändern, damit Artists wieder Artists sein können?
Mia: The root of all evil is capitalism. Ich bin selbst auf ihn angewiesen, denn natürlich will, MUSS, ich Geld mit meiner Musik verdienen. In den letzten Jahren ist Musik, Malerei, Comedy, Darstellung jeder Art mehr Content denn Kunst geworden. Ich habe aber Hoffnung, dass es genug Leute wie mich gibt – man sieht sie ja auch auf Festivals, Konzerten – die den wahren Geist, die Essenz der Sache, lieben, und sich, wie sich Vinyl-Sammler*innen auf das „Echte“ berufen, nie nehmen lassen werden, Musiker*innen auf die altmodische Art zu supporten. Fans müssen sich daran erinnern, dass sie für ihre Artists genauso wichtig sind wie andersherum. Ich habe das große Glück, dass ich eine Community habe, die es mir ermöglicht, ganz Künstlerin zu sein. Natürlich ist diese zu vergrößern in Zeiten wie diesen etwas, das als sehr leicht verkauft wird, aber kaum nachhaltig ist, denn Hypes sind auch schon vor TikTok schnell ausgestorben. One-Hit-Wonder gab es schon in den 80s. Solange meine Community bei mir bleibt, solange ich Shows und Festivals spielen, mit meinen besten Freund*innen touren und Musik machen darf, cosplaye ich einfach den Rockstar-Traum und Blende aus, wie horrend die industriellen Zustände geworden sind.
Picky: Any last words?
Mia: Mich hat noch NIEMAND darauf angesprochen, dass ich in den Clips für unseren Song Schlagzeug spiele 🙁
MOA: Wir sind Popstars!