Foto: Rosanna Graf
Am vergangenen Wochenende hat picky Sofia für euch die deutsche Post-Punk Band Erregung Öffentlicher Erregung im Hafenklang in Hamburg besucht. Vorband war der im Moment in der Szene heißgehandelte Donkey Kid und seine Band. Wie es war, lest ihr hier.
Ich betrete das Hafenklang am Samstagabend circa um 20:30 – eine halbe Stunde to go also, bis es mit Livemusik losgeht. Noch stehen die meisten der Besucher:innen im Foyer an der Bar oder quatschen mit Laurens von EÖE am Merchstand. Erregung Öffentlicher Erregung – das sind Anja Kasten (Gesang), Michael Schmid (Schlagzeug)*, Michi Hager (Gitarre), Laurens Bauer (Bass) und Philipp Tögel (Synthies). Im letzten Jahr hat das Quintett seine Debütplatte namens „EÖE“ veröffentlicht, die in Musikblogdeutschland viel besprochen wurde. Zurecht, wie ich finde! Erregung Öffentlicher Erregung kombinieren zeitgeistige Lyrics mit Gitarrensounds, die sich auf die 80er Jahre besinnen. Diese Kombi funktioniert, wie insbesondere ihr bisher erfolgreichster Song „Wo soll ich hin“ zeigt, erstaunlich gut.
*Live sind Erregung Öffentlicher Erregung wahlweise auch mit Simon als Drummer unterwegs
Donkey Kid und EÖE – Der Kreis schließt sich
Der Konzertsaal selbst, böse Zungen würden behaupten er sei nicht viel größer als ihr eigenes Wohnzimmer (meine Frage wäre an der Stelle: Wie groß ist euer Wohnzimmer?!), ist also auch kurz vor Beginn des Support-Sets recht überschaubar gefüllt. Als Donkey Kid um punkt 21:00 die Bühne begleitet von „Urlaub in Italien“ betreten, wagen sich nach und nach Fußpaare im Rotlicht Richtung Bühne. Zwar hält die Crowd noch einen Sicherheitsabstand zur Bühnenkante, der Raum ist aber stabil voll. Vielleicht kennt ihr Donkey Kid schon von unserer „PICKY RADAR“-Playlist. Wenn nicht: Donkey Kid ist 19 Jahre jung, aus Berlin-Lankwitz und fing bereits in der Schulzeit an in DIY-Bedroom-Prouducer-Manier die ersten Demos und Songs (sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch) zu schreiben (von denen einige noch auf SoundCloud zu finden sind). Viel mehr ist über den Newcomer nicht bekannt. Max aus Donkey Kids Band erzählt zwischendurch, dass es die Band besonders freue heute Abend hier zu sein, da das erste Donkey Kid Konzert ebenfalls ein Support-Set für EÖE war – damals im Molotow Backyard und nur zu zweit. Der Kreis scheint sich an diesem Abend zu schließen. Aber nicht nur das: Die jungen Berliner feiern obendrein eine Premiere: Das erste Indoor-Konzert in fester Bandbesetzung. Das soll in Zeiten von Corona was heißen!
Serviert bekommt das Publikum nicht nur die bisher erschienen Singles „Linger On, „Birdhouse“, „Deep Blue“ und „Toy“, sondern wird auch Zeuge von Liveversionen noch zahlreicher unveröffentlichter Songs. Tipp: Auch hier lohnt sich ein Blick auf Donkey Kids SoundCloud Profil. Dort zu finden ist unter anderem ein Track namens „distant shouts“, dessen B-Part besonders viel Anklang im Publikum findet. Das eine oder andere „Wuuuuh“ und „Yeah“ holen sich Donkey Kid damit ab. Den Höhepunkt findet das Set zum Ende hin mit der Live-Performance von „Linger On“. Viele Füße, die vorher noch verhalten auf dem Boden klebten, können sich nicht mehr halten und steppen in Tanzschritten nun vorsichtig hin und her. Nachdem der von der Band engagierte Zugaben-Rufer in der ersten Reihe nach mehr verlangt und Donkey Kid gerne annehmen, werden wir Zeugen einer weiteren Premiere. Vor kurzem erschien nämlich nicht nur die Single „Toy“, sondern auch ein deutschsprachiger Song auf dem sagenumwobenen SoundCloud Account. „nicht zurück“ erzählt unumwunden von Trennungsschmerz und wie das eigene Zimmer selbst im Sommer zum kältesten und düstersten Ort mutieren kann, während alle anderen den Spaß ihres Lebens zu scheinen haben. Eben jener Song rundet den Support-Slot schlussendlich ab.
Besessen nach „Vermessen“
Nach einer kurzen Umbaupause tauchen auch endlich Erregung Öffentlicher Erregung auf – und zwar gewohnt bescheiden, ehe sie den Laden zerlegen. Nach dem Opener „Vermessen“ hat das Publikum Blut geleckt: Mit jedem weiteren Song scheint sich die gedankliche Corona-Blockade in den Köpfen vieler zu lösen (natürlich guten Gewissens, da es sich um eine 2G-Veranstaltung handelte) bis „Bei mir zuhause“ endgültig den Groove auf die Tanzfläche bringt. Bevor Erregung Öffentlicher Erregung ihren bisher größten Banger „Wo soll ich hin“ auspacken, gibt es noch eine obligatorische Vorstellungrunde, die von Anja aber auch direkt eingeordnet wird: „Wir machen sowas normalerweise nicht, weil es voll peinlich ist“, sagt sie. Naja, jetzt weiß das Publikum wenigstens, dass Philipps Synthesizer nicht funktioniert, was bis dato wahrscheinlich niemandem aufgefallen sein sollte. „Scheiß Technik!“ ruft einer von hinten Richtung Bühne und holt sich bei der Band ein Nicken ab. Aber keinen Grund zur Sorge – zur Entschädigung gab es wie bereits angekündigt den EÖE Smash Hit „Wo soll ich hin“ live. Da ist das Synthesizer-Problem quasi vergessen.
Mittlerweile haben die jungen Berliner der Formation Donkey Kid auch ihren Weg in die Menge gefunden. Eben jene bahnen sich ihren Weg durch die Mitte in die „Gefahrenzone“ und starten zusammen mit anderen Gäst:innen den ersten richtigen Moshpit des Abends. Von Song zu Song wird unermüdlich weiter gerempelt und gehüpft, als ob es kein Morgen mehr gäbe – der Anblick entlockt Sängerin Anja ein Lächeln. Die Stimmungskurve nimmt mit jedem Song exponentiell zu.
Sind wir nicht am schönsten im Hafenklang bei Nacht?
Umso trauriger, dass das unvermeidliche Ende eines sorgenlosen Abends abseits des Pandemiewahnsinns mit jedem Mosh und jedem Song immer näher rückt. Für das Grand Finale haben sich Erregung Öffentlicher Erregung meinen persönlichen Lieblingssong ihrer Platte aufgehoben: „Da wo wir am schönsten sind“. Gefühlt sind gerade alle anwesenden Menschen in diesem stickigen und verrauchten Raum, just in diesem Moment, am aller schönsten. Wo man auch hinschaut glückliche Gesichter. Das gibt mir in diesem Moment so viel. Auch ich muss vor mich hingrinsen. Euphorisiert vom Konzert kaufe ich mir am Merchstand noch eine Platte, ehe ich im Nachtbus am Hamburger Fischmarkt krampfhaft versuche jeden einzelnen Moment dieses Abends in meinem Gedächtnis abzuspeichern. Ich will sicher gehen, dass mein erstes richtiges Clubkonzert seit zwei Jahren die Erinnerungen an etliche Tage daheim in sozialer Isolation übermannen.
Wer Bock hat sich EÖE auch mal live anzuschauen, hat am 8.11. in Köln die Chance dazu: