
Von EDM, Brostep und Beatdrops hin zu „brat-coded“, Ravewear und Boiler Room: A. G. Cooks klangliche Zitate der 2010er im neuen Gewand.
Kurz mal zurückgeschaut: Es ist Sommer 2024, jeder zweite Firmenaccount auf Instagram postet eher mäßig witzige Slideposts im allgegenwärtigen grün-schwarzen Farbschema, Songs, die Buzzwords wie “Clubtoilette”, “Keta” oder “Bass” enthalten, charten fast automatisch auf die 1 und jeder dahergelaufene Kerl mit Finelinetattoos, Mullet und USB-Controller wird als DJ-Gott im Kiez gehandelt.
Wie sind wir denn bitte dahin gekommen?
Der Eisberg, den ich hier versuche zu umschiffen, ist massiv. Und er beginnt ganz unten mit der Gen Z, die bei dem Release von EDM-Hits wie “Dancing On My Own” oder “Titanium” mit einem nostalgischen Leuchten in den Augen aufspringt und zurückgeworfen wird in die ersten Teeniejahre. Von 2011 an war EDM nicht nur der Kassenschlager, sondern hat auch ein paar nerdige Gestalten davon überzeugt, statt League of Legends oder Minecraft die erste Musiksoftware zu installieren. Die klangliche Ästhetik, mit der Avicii, David Guetta oder Tiesto dann irgendwelche Hollister tragenden Jugendlichen auf die Tanzfläche bekommen haben, ist relativ simpel: Dur-Akkorde, so oft und so laut wie möglich. Die Musik soll euphorisch klingen, irgendwie nach Digitalisierung, Sonnenuntergang und kaltem Bierchen. Bloß nichts Introspektives, bitte keine allzu komplizierten Lyrics.
Und nach 2016 kippt dann irgendwie alles. Auf einmal ist Trap groß. Und aus lecker Bierchen in Saint-Tropez wird Lean, Tilidin und Gras in Atlanta. Kurz: Für EDM interessiert sich so richtig keiner mehr. David Guetta hat seinen Weg auf das musikalische Abstellgleis gefunden, nämlich in die NDR2-Morgensendung und der FIFA 17-Soundtrack besteht jetzt aus Clap-Stomp-Mainstream-Indie von Holzfällerhemd tragenden Briten.
Jetzt wird’s interessant.
Von 2016 bis 2020 verkriechen sich elektronische Genres wieder in die Reddit-Foren und Schlafzimmer-Studios und marinieren da vor sich hin, bis Charli XCX, die davor schon hart dafür geackert hat, dass sie eigentlich jeder mit einem Internetanschluss kennt, das Album “how i’m feeling now” herausbringt und uns während Corona genug Denkanstöße gibt, über Beziehungen, Feiern und Konsum nachzudenken.
Was sofort auffällt, ist der komplett umgekrempelte Klang des Albums. Vorher war Charli XCX in den produktionstechnischen Händen von benny blanco und somit im Zenit der 2010er-Dancepop-Klänge. Auf einmal gibt es aber an Eurodance erinnernde Synthesizer, Autotune, Bitcrusher und Drums, die nach denen von SOPHIE, Flume oder Porter Robinson klingen. Und die Lyrics sind radikal ehrlich und überhaupt nicht radio- und chartkonform.
Die Grundidee des Albums basiert auf der Produktion von A.G. Cook. Maximalismus und alle Ideen aus EDM und Pop der 2010er vereint. Cook treibt all die Überzeugungen von EDM bis auf die Spitze, so auch der schnell vergebene Genrename Hyperpop. Songs mit ähnlichen klanglichen Ästhetiken gab es aber schon zehn Jahre vorher: der Track Big Catzz von Rustie wirkt fast wie ein uneheliches Kind von Cook.
Und gerade dieses “Brostep” genannte Subgenre (passend, waren nämlich wirklich fast nur Männer) klingt hier und da mal in den Hyperpop-Produktionen durch. Diese “Brostep”-Kreationen kamen aber nie so wirklich in Fahrt, als dass man es ein kulturelles Phänomen hätte nennen können. Und da liegt der Hauptunterschied zum Hyperpop.
A.G. Cook muss sich eigentlich irgendwann mal geklont haben, denn er steckt nahezu in allen Producer-Credits der noch jungen 2020er. Von Clairo über Caroline Polachek bis hin zu Troye Sivan und sogar Beyoncé, alle Industriegrößen haben Bock auf verzerrte, absichtlich überladene Tracks. Seine Soloprojekte zeugen außerdem von kompletter Abkopplung seinerseits zu irgendwelchen Genredeskriptionen.
Cook knüpft mit seinen Produktionen an die sentimental aufgeladene Klangpalatte der 2010er an. Was alles übrig blieb, als EDM ins Archiv gepfeffert wurde, klaubt er auf und verwendet es für seine Eigenkreationen. Die bedienen sich natürlich aller Stilmittel der TikTok-isierung der Musikwelt: Bloß kein Song über 3 Minuten, schön reizüberladen, damit der Thalamus nicht vorzeitig abschaltet, und keine großartigen Downparts oder Bridges.
Cook summer statt brat summer?
Nein. Unterm Strich waren es die Ehrlichkeit, Fassbarkeit und relatableness der Lyrics von Charli XCX, sowie die neu erlernte Feierwütigkeit nach Corona, die dieses Album nach oben katapultiert haben. Aber: Cook hat doll dazu beigetragen, dass ein Nischensound wie Hyperpop ins Spotlight gerückt wird und dass Mainstream nun auch überhalb von 120 bpm stattfindet.