Der Sound einer Mid-Twenties-Identitätskrise: ein Abend mit colin

Auf dem Bild sind die drei Bandmember zu sehen: Links Basti, in der Mitte Jonas und rechts daneben steht Colin. ZU dritt stehen sie lässig auf einem Balkon, draußen ist es bereits dunkel.

colin (Alle Bilder im Beitrag: Johanna Weichhart)

Wenn drei Menschen denselben Drang haben, aus Chaos Klang zu machen, entsteht etwas, was sich nicht planen lässt. Hier klingt Erwachsenwerden nach Momenten, in denen alles gleichzeitig passieren darf: wachsen, sich ausprobieren – und auch mal dabei scheitern. Wir waren bei einer der seltenen Headline-Shows von colin dabei. Einer Kölner Band, die mit jedem Song und jeder Entscheidung zeigt, wie es sich anhört, wenn sich drei Menschen dem widmen, was ihnen wirklich etwas bedeutet. 

Draußen legt ein DJ auf einem Ehrenfelder Weihnachtsmarkt Afrobeats auf, drinnen wird auf einem Holztisch das Hemd für die Show gebügelt. Es ist einer dieser selbst für Köln eisigen Winterabende, an denen sich eigentlich alles in einem sträubt, das Haus zu verlassen – und gleichzeitig klar ist, dass gerade solche Abende bleiben. Wir treffen die Band im Backstage, einem Backsteinhaus neben der eigentlichen Location „Garagen“, wo sie später spielen. Colin (nicht zu verwechseln mit colin, dem Namen der Band), Sänger und Gitarrist, öffnet uns die Tür. Im linken Zimmer, das wie die Rohfassung eines frisch bezogenen WG-Zimmers wirkt, treffen wir dann auf Max und Luca, die als EESE mit ihrem Synthesizer-Indie diesen ganz besonderen Abend eröffnen. Auf dem ausgewaschenen blauen Stoffsofa sitzen Jonas (Drums) und Basti (Bass). Mit ihnen formt sich das, was später auf der Bühne passiert: eine Band, die englischsprachigen Indie-Pop und Alt-Rock so selbstverständlich miteinander kombiniert, als wäre Köln schon immer ein bisschen UK gewesen – namens colin.

Zwischen dem noch heißen Bügeleisen und Afrobeats, die trotz geschlossener Fenster noch durch die Wände dröhnen, antwortet Jonas auf die Frage nach Bandritualen völligst selbstverständlich: „Wir spielen da so Mund-Tennis.“ Bevor ich nachhaken kann, stehen Jonas und Colin schon nebeneinander, formen imaginäre Schläger und spielen sich lautmalerische Ping-Pong-Sounds zu. Dass die drei funktionieren, spürt jede Person im Raum sofort – obwohl es sie als Band noch gar nicht so lange gibt. Noch mit Apple-Kopfhörern aus seinem Kinderzimmer heraus startete Colin als Solo-Projekt. Auf einem Schulfest durfte er sich live ausprobieren und dachte sich: „Drums wären geil!“. Aber außer irgendwelcher „Soundcloud-Rapper aus der Mittelstufe“, kannte er niemanden, der Musik machte. Eine Insta-Umfrage später, hatte sich jemand gefunden: Ein damals 15-Jähriger, der eigentlich viel Techno produzierte und sich erhoffte, dass Colins Vocals mal auf seinen Beats liegen würden, spielte ab jetzt die Drums. Die beiden waren eine Zeit lang als Duo unterwegs – bis Basti kam und als Bassist die Band vervollständigte. Die drei waren sofort ein Match: „​​Ich habe auch quasi zugesagt, bevor ich die Songs so richtig kannte, einfach weil ich so Bock hatte darauf, weil ich die beiden auch gerne mag“, erzählt Basti.

„​​Aber auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, schweißt uns das auch total zusammen irgendwie, diese Erfahrung nicht nur als Bandmember, sondern vor allen Dingen auch als einfach super gute Freunde, alles zusammen machen zu können.“

Ein kurzer Blick zwischen den dreien, ein leises „aww“, diese typischen Band-Momente, in denen Freundschaft und Musik denselben Puls bekommen. Früher war Colins Sound auf jeden Fall noch ein anderer. Er war „scheiße, ja“, kommentiert Colin selbst. Noch bevor ich das lautstark verneinen kann, lachen wir alle. Nicht über die Songs, sondern über die Schonungslosigkeit, mit der er über die eigenen Anfänge spricht. Was damals eine Mischung aus energetischen Pop-Elementen und leisen, intimen Indie-Folk-Einflüssen war, klingt mittlerweile anders. Heute, zu dritt, sind sie lauter, mutiger und breiter aufgestellt. Die Band erzählt, wie sie zusammen mit der Musik erwachsen wurden – und das hört man. Das Gefühl, erwachsen zu werden und damit irgendwie nie fertig zu sein. Die drei machen zwar immer noch Musik, die nach Coming-of-Age klingt, aber nicht nach 16. Eher nach Mitte 20: jener chaotischen Zwischenphase, in der sich Erwachsenwerden nicht mit dem ersten Job erledigt, sondern sich wie ein unübersichtlicher, über produzierter Dauerzustand anfühlt.

In ihren Songs steckt viel Selbsttherapie und gleichzeitig ist es ein Archiv aus Geschichten und Gefühlen von Freund*innen, die sie mittragen. Und manchmal gleitet das Ganze auch ins Absurde: MIRACLE,  der Opener ihrer aktuellen EP BLUE beginnt mit einer Toad-Imitation von Jonas, die auch den Refrain trägt – ja, dem Pilz von Mario Kart. Ein Song voller Leichtigkeit, der einfach Spaß machen soll. Trotzdem trifft die Line „They always come and go, I need a miracle“, Menschen in ihren Zwanzigern mit pathologischer Präzision. Ihre Musik lässt Raum zum Verlieren, zum Projizieren. Alles, was man über sich selbst nicht sagen kann, sagen die Songs irgendwie trotzdem. „Traurige Songs, happy Instrumentals […] das ist halt schön, wenn du so weinst, aber trotzdem Bock hast dabei zu springen“, damit trifft es Colin perfekt.

Dass die Band nicht nur irgendein Projekt für sie ist, wird schnell deutlich. Wenn Colin etwas hört, das ihn inspiriert, schließt er sich ein und die anderen beiden hören erstmal nichts mehr von ihm. Bis sich Colin dann mit: „Jungs, ich hab hier drei neue Songs gemacht, hört mal rein“, zurückmeldet. Alles, was sie produzieren, entsteht in Eigenregie: Von der ersten Demo bis zum Masterfile entsteht alles in seiner – wie Colin selbst sagt – viel zu kleinen Wohnung, in der Schlafplatz und Studio eindeutig zu nah beieinander liegen. Obwohl sie wissen, dass deutsche Lyrics ihnen schneller Türen öffnen würden, ist das für die Band kein Grund umzuschwenken. Colin fühlt sich im Englischen zu Hause – dort kann er tiefer gehen, ehrlicher formulieren. Selbst als ein großes Label ein Angebot macht, das ihr Leben spürbar verändert hätte, lehnen sie ab. Denn die Bedingung war: auf Deutsch singen. „Aber dann haben wir auch erstmal geheult“, sagt Colin dazu. 

Je länger wir sprechen, desto deutlicher wird, wie eng die drei miteinander sind. Aber: „das ist so bisschen, wie sagt man, ein zweischneidiges Schwert?“ fügt Jonas hinzu und versucht gleichzeitig das Sprichwort irgendwie zusammenzukriegen. Für einen kurzen Moment kriegen wir es alle nicht hin. Colin gibt zu, manchmal nicht ganz fair zu den anderen beiden zu sein. Wenn etwas nicht funktioniert, lässt er seinen Frust an seinen Bandkollegen aus. Wären die beiden Sessionmusiker, würde er ihnen gegenüber zum Teil anders, nicht aus puren Emotionen heraus, agieren. „Aber auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, schweißt uns das auch total zusammen irgendwie, diese Erfahrung nicht nur als Bandmember, sondern vor allen Dingen auch als einfach super gute Freunde, alles zusammen machen zu können.“ Die Offenheit, mit der sie darüber sprechen, zeigt, wie viel Vertrauen zwischen ihnen liegt. „Scheiße, wir wollen doch einmal cool sein“, sagt Jonas daraufhin. Colin widmet sich wieder dem Bügeleisen und wir wechseln vom Backsteinhaus zur Venue.

Schon nach dem ersten Song ist der musikalische Wandel spürbar. Alles klingt nach rockigen Tapes, nach diesem leicht verwaschenen und zugleich warmen Signature Sound, den sie zuvor beschrieben hatten. Die Atmos legen sich wie eine Hülle um den Raum, die durch ihre dreamy Atmosphäre das Ganze zusammenhält. Darüber klare Gitarren- und Bass-Sounds, klare Vocals und Drums, die an der genau richtigen Stelle zur gesamten Energie beitragen.

„And now that I know, that you always tried to give a little more, tried to be a little more“ singt Colin über den Konflikt seiner Eltern, als junge Menschen schon erwachsen sein zu müssen. Und genau diese beiden Menschen stehen an diesem Abend mit im Raum. Als er bei der Zeile „And my dad was just a kid, who got a kid at 26 yeah. And I know that he’s been losing it, ever since then“, werden die Sounds noch rockiger und die Drums lauter. „Der nächste Song ist glaub ich nicht blöd, deswegen spielen wir den jetzt“, damit kündigte Colin einen der neuen, unreleased Songs der Band an. Sie wollen heute Abend herausfinden, welche Songs nicht nur im Studio, sondern auch live funktionieren. Und als das Publikum „Ladadaaa“ nicht laut genug singt, fragt Colin trocken: „Seid ihr etwa noch nicht in Karnevalsstimmung?“ Der Abend lebt von genau diesen Brüchen: Verletzlichkeit, Humor, Druck, Leichtigkeit – alles innerhalb von Sekunden.

Und nicht nur die Band ist gleichzeitig auch eine Freundesgruppe, die verdammt gut funktioniert – sondern auch die Menschen, durch die der gesamte Abend erst möglich ist. Die Band bedankt sich bei Tom, der für Licht am Start war, bei Severin, der den Abend mit seiner Kamera festgehalten hat, bei Julia, die die Köpfe der drei vereint und die gesamte Organisation im Griff hat und bei ihren Freund*innen, die tagelang den Merch in der Küche gesiebdruckt haben. Ein Moment, in dem klar wird: Diese Band existiert nicht isoliert, sondern in einer Wechselwirkung aus Freundschaft und Vertrauen. Nach rund anderthalb Stunden endet die Show mit einer Coverversion von California (Phantom Planet) – ein Song, der nach Roadtrip und warmem Fahrtwind klingt, obwohl draußen eisiger Winterwind die Straßen schneidet. Ein Abschluss, der alles noch einmal zusammenfasst: Sehnsucht, Antrieb, Aufbruchsstimmung.

Das ist halt schön, wenn du so weinst, aber trotzdem Bock hast dabei zu springen.“

Nach der Show stehen wir mit einem Glühwein in der Hand mit Colin in dem mittlerweile fast leeren Konzertsaal. Wir reden über das Aufwachsen im Kaff, darüber, warum es gleichzeitig befreiend und beängstigend ist, seinen Traum zu verfolgen und wie sehr man sich dabei selbst im Weg stehen kann. Die drei schreiben gerade an ihrem nächsten Album. Eigentlich war “ofc i still love you” ihr Debütalbum als Band. Doch das kommende wird das erste sein, das wirklich als Album gedacht ist: ein Konzept, das von Anfang bis Ende trägt, ein Bogen, der erst im letzten Song schließt. 

Für die Band ist colin kein Nebenprojekt, sondern der Versuch, etwas zu kreieren, das sie nicht verbiegt. Und vielleicht fühlt es sich deswegen so stimmig an: Sie klingen nach einem Jetzt, das noch dabei ist, sich selbst zu sortieren. Was nach dem Abend bleibt, ist dieses Gefühl, dieser leise Nachhall, der daran erinnert, wie viel Energie entsteht, wenn Menschen das tun, was ihnen wirklich etwas bedeutet. Und bei colin wirkt es so, als würde gerade etwas beginnen.

Hier könnt ihr in ihre EP BLUE reinhören

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