Corona entgegen haben Provinz mit Nur Freunde und Verlier dich vor kurzem gleich zwei Songs auf einmal veröffentlicht. Was Sex Education, ihr erster Bandname und der Schnaps meines Opas damit zu tun hat, lest ihr jetzt.
Ironie der Geschichte
Schon lustig, dass die Band Provinz, die ursprünglich zu zweit unter dem sehr kreativen Namen twice angefangen haben, jetzt einige Jahre später auch eine Doppelsingle raushauen. Nur zu zweit waren den beiden Cousins Vincent (Gesang/Gitarre) und Robin (Keyboards) aber dann auf Dauer zu langweilig und so kam bald der dritte Cousin Moritz (E-Bass) dazu. 2017 waren sie dann mit dem ersten Nicht-Familienmitglied Leon am Schlagzeug komplett. Da twice dann nicht mehr ganz zutreffend war, entschieden sich die Vier als Hommage an ihre Heimat, ein kleines Kaff namens Vogt bei Ravensburg, für ihren heutigen Namen Provinz. Im Mai 2019 kam dann ihre erste EP Reicht dir das raus und fast forward gehören sie heute zu einer der interessantesten deutschsprachigen Bands.
Eigentlich sollte es auch nicht mal mehr als einen Monat dauern, bis wir endlich ihr Debutalbum Wir bauten uns Amerika auf Dauerschleife hören können. Aber da die Presswerke aufgrund des Corana-Virus nicht produzieren können, müssen wir uns noch bis zum 14. August 2020 gedulden…schwierig, Geduld ist nicht so meine Sache. Verlier dich und Nur Freunde machen das Warten zwar nicht einfacher, aber die Vorfreude auf das Album wesentlich größer.
Eine Konzeptsingle
Die Veröffentlichung baut thematisch aufeinander auf. Vincent erzählt in Nur Freunde autobiografisch die Geschichte einer lebenslangen Freundschaft, die sich dann im jungen Erwachsenenalter zu einer Liebe entwickelt. Große Gefühle treffen auf innere Konflikte und es werden Fragen gestellt wie „Darf das sein? Kann das sein? Waren wir nicht immer eben ‚Nur Freunde‘?“
Aber aus der Beziehung aus dem Kinderzimmer wird nichts – wäre ja auch schon fast zu kitschig. Was ist also die einzig logische Konsequenz? Richtig: Vollsuff mit den Jungs. Und genau das wird in Verlier dich thematisiert. Man schüttet sich zu, sucht die Ablenkung im Rausch, fühlt nichts mehr und verliert sich am Ende wortwörtlich – „aber was ist schon dabei?“ Von den leichten, sommerlichen Vibes und der befreiten Art aus ihrem Song Was uns high macht ist hier nichts mehr zu spüren. Provinz liefern in der Doppelsingle knallharten Ernst. Themen, die zwar aus der Perspektive eines jungen Erwachsenen kommen, aber so viel Tiefe aufweisen, dass Alter hier keine Rolle spielt. Die Songs bewegen und berühren, und das direkt.
Onomatopoetische Gefühle
Auf musikalischer Ebene spiegeln die beiden Songs genau das wider, was sie ausdrücken wollen. Nur Freunde braucht nicht mehr als eine melancholische, gezupfte Akustikgitarre und Vincents raue Stimme, die es schafft, gleichzeitig kraftvoll und so zerbrechlich wie die Gefühle des Songs zu sein. Vom verzweifelten Schreien der Lyrics bis hin zu vor Schmerz fast abgebrochenen Worten ist hier jede Dynamik dabei.
Goldene Gläser brennen uns die Kehle warm
Schenk mir nach / Ja ich will noch n paar
Verlier dich kommt dabei ganz anders. Von der ersten Sekunde an ballert der Song wie ein guter Shot von Opas Schnaps. Nach einem kurzen Drumroll – Achtung da kommt was!!! – setzten die treibenden Drums, die wild geschrappelte Gitarre und auch der Bass unermüdlich ein, der Fokus liegt aber auf dem Klavier, das sich nicht entscheiden kann, ob es jetzt rhythmisch oder melodisch spielen soll. Am Ende macht es dann doch beides und das sehr geil. Die Vocals legen sich zum Großteil wie frei gesprochen über die Musik und scheinen alles zu diktieren.
„Ich lasse mich komplett in meine Emotionen reinfallen und dazu gehört, dass man sich völlig entblößt und reinsteigert. Und dann gibt es auf der Welt nichts Schlimmeres mehr oder nichts Schöneres, manchmal weiß ich das selber nicht mehr so genau.“
Vincent
Ein Kurzfilm in zwei Teilen
Auch die Musikvideos erzählen die Geschichte der Songs. Im One-Take zu Nur Freunde werden dramatische Szenen aus dem eigenen Schlafzimmer gezeigt – schmerzvoll verzerrte Gesichter, leere Augen und Tränen, die langsam die Wange herunterlaufen. Zwischen Vincent und der besungenen „Nur-Freundin“ werden längst verlorene Nähemomente gesucht und völlig vergebens Zärtlichkeiten ausgetauscht. Am Ende verlässt sie den Raum und lässt ihn alleine am Boden buchstäblich sitzen.
„Man hat das Gefühl gehabt man hat irgendwas irgendwie verarbeitet, von dem man auch gar nicht wusste, dass man es verarbeiten muss.“
Leon
Der aus Nur Freunde resultierende Frust und die Aggression werden in Verlier dich dann völlig rausgelassen. Fast dreieinhalb Minuten lang wird mit Golf- und Baseballschlägern alles zertrümmert was man auf einem alten Fabrikgelände so finden kann – Sex Education-Vibes sind hier definitiv vorprogrammiert. Sowohl den Rausch, als auch das Befreiende haben die vier Jungs beim Dreh des Videos selbst erlebt. Aber mal ehrlich, einfach mal mit ’ner Brechstange ein paar Gläser oder Kloschüsseln kaputt hauen, da hätte ich auch Bock drauf.
„Es war wie in einem Drogenrausch“
Vincent
Fazit: Erfolgreich verloren
Also ich muss sagen, ich bin schon ihrer EP Reicht dir das ein riesiger Fan, aber was Provinz da wieder rausgehauen haben ist schon beeindruckend. Bisher hat mich auch jede Single seit der EP abgeholt und diese macht da auch nichts anderes. Ich habe mich, wie sie es in Verlier dich immer wieder predigen, verloren – nur nicht im Alkohol, sondern im Rausch ihrer Musik. Und wenn ich im August endlich das Album in die Finger bekomme, mache ich Opas guten Schnaps auf, und die beiden treffen sich vielleicht in der Mitte.
Bevor du dich nur unnötig zuschüttest oder bis du beim nächsten Polterabend wieder die Gelegenheit hast sämtliches altes Porzellan zu zertrümmern, schau dir auf jeden Fall unten die beiden Videos zu Nur Freunde und Verlier dich an.
Und wenn du wissen willst, was picky Sarah von Provinz live hält, gibt’s hier ihren Konzertbericht vom Muffat Winterfest 2020.