Dolphin Love (Alle Bilder im Beitrag: Mirjam Mähler)
Wie klingt es, wenn man am Leben ist? Welche Klänge machen den Moment aus und welche Orte verstecken sich hinter Melodien und Worten? Dolphin Love bietet Antworten. Coco Kopp und Jani Kaspers erzählen von einer Freundschaft, die auf einem E-Roller an Fahrt aufnahm, vom Schönen am Unpolierten und von ihren Songs, die aus Intuition und Gefühl entstehen.
Ein Gastbeitrag von Francesca Valentin
Draußen stellt sich die blaue Stunde ein und ein nasser Wind wirbelt die trockenen Blätter einer Linde umher, es ist ganz im Allgemeinen ungemütlich – doch das soll sich schnell ändern. Der schwarz-weiß gefärbte Plattenladen Rough Trade, unweit des Neuköllner Rathauses, lädt am Abend des 23. Oktobers zu einem Release-Gig ein: Dolphin Love veröffentlicht seine erste Vinyl.
Punkt 20:30 Uhr: Die weiße E-Gitarre hängt um den Schultern von Coco Kopp, erspricht liebe Worte in das Mikro: „Hey, es ist so schön, dass ihr alle gekommen seid. Wir haben eine Platte rausgebracht, und eine EP auch noch!” Seine Stimme ist sanft, er lacht und Jani Kaspers an den Drums steigt mit ein. „Ja, also, die würden wir jetzt einfach mal spielen!“ Eine durchschnittliche Ankündigung für ein alles andere als durchschnittliches Konzert? Das ist fast typisch für Dolphin Love. Warme, raue Klänge füllen die Zwischenräume des Plattenladens und bieten eine Live-Show, dessen Energie ansteckend ist. Zehn Songs spielen sie, doch es könnte genauso gut auch ein einziger, sehr langer Track gewesen sein – Jani und Coco performen ein Parcels-Manöver sondergleichen, mit Übergängen, die wunderbar ineinanderfließen, dazwischen Intermezzi an musikalischen Spielereien, die Jazz, Soul, Funk und Rock miteinander verschmelzen lassen. Die Harmonie der Musiker überzeugt nicht nur auf technischer Eben: Intuitiv, experimentell und komplett aufeinander abgestimmt schaffen sie eine Energie, die spürbar Leben in den verregneten Donnerstagabend bringen. Man verlässt das Rough Trade mit einem Lächeln, das sonderbare Taktgefühl des Moments trägt einen bis in die Nacht.

Kennenlernen auf 50 Centimetern
Es ist mitunter auch die Zwischenmenschlichkeit, das Dolphin Loves Gig im Rough Trade – und das Musikprojekt an sich – so besonders macht. Wir treffen ihn und Jani in der Hauptstadt, nur wenige Stunden vor ihrer Show. Über uns glitzert sanft eine Diskokugel, im Hintergrund spielt David Bowie. Neben Coco sitzt Jani, der Mann an den Drums. Seit zwei Jahren spielen die beiden nun miteinander. Die Songs schreibt Coco selbst, auch die instrumentalischen Arrangements stammen aus der Feder des Wahl-Hamburgers. Produziert wird alles in seinem Studio im kleinen Helmstedt, mittlerweile hat Coco aber einen neuen Studiospace in Hamburg in Aussicht. „Da freu ich mich richtig drauf, das wird alles gemütlich und schön dort. Dann muss ich auch nicht immer nach Helmstedt fahren“, gibt Coco zu. Alle seine insgesamt vier EPs sind in dem Studio in seiner Heimatstadt entstanden.
Sie erinnern sich an ihre kurze, aber freundliche Begegnung vor ein paar Jahren in Stade, auf dem Hanse Song Festival. Jani sei nach Cocos Soloshow zu ihm hin, wie er erzählt. „Ich fand seine Mucke irgendwie einfach mega geil und hab ihm das nach seiner Show gesagt. Das war eigentlich das Einzige, was wir an dem Abend gesprochen haben.“ Unverhofft sollte diese knappe Begegnung der Beginn ihrer gemeinsamen Arbeit sein. „Ich hab schon länger nach einem Drummer gesucht“, erinnert sich Coco. „Und beim Suchen dachte ich an Jani. Damals wusste ich zwar noch nicht, dass er überhaupt Schlagzeug spielt, aber ich dachte, der macht irgendwie einen netten Eindruck.“ Dass Jani nicht nur Schlagzeuger ist, sondern auch ein sehr guter, habe er erst durch intensives Stalking herausgefunden, wie er erzählt: „Auf seinem Instagram war ein Video von ihm, ziemlich ausgelassen an den Drums, grinsend und mit Cowboy-Hut auf und ich dachte mir: ‚Jap, der ist es‘. Dann habe ich ihn angeschrieben und gefragt, ob er Bock hätte, dann haben wir telefoniert und naja, hier sind wir jetzt.“

Die beiden sind mittlerweile gute Freunde geworden, und unter Kichern erzählen sie von ihrer ersten Begegnung als „Kollegen“. „Ich hatte eine Show allein in Münster und Jani kam spontan noch dazu. Danach haben wir ein bisschen gefeiert und wie das dann halt manchmal so ist, ging das alles etwas länger. Am Ende sind wir zusammen mit dem E-Roller zur Wohnung meiner Schwester gefahren und haben dort übernachtet – auf einer 50cm breiten Matratze. Die war so eng, da mussten wir löffeln“, erzählt Coco. Er hält sich die Hand vor den Mund, lacht los, und Jani steigt mit ein: „Einfach am ersten Abend! Spätestens da war klar: ‚Das passt bei uns‘.“
Musik, die unter die Haut geht
Es wäre unfair, Dolphin Love einem Genre zuzuordnen. Und, ganz ehrlich: Es ist fast unmöglich. Die musikalischen Arrangements, die Coco Kopp mit Unterstützung von Jani Kaspers an den Drums kreiert, übersteigen fast die Grenzen musikalischer Stilrichtungen. Mal kombinieren sie dreamy Electropop-Segmente mit treibenden Drumsets, dann gibt es aber wieder Songs, die nach Alternative-Rock schreien,getragen von schrillen Gitarrenriffs und tiefen Bassmelodien, dicht gefolgt von Songs, die sich nicht anders beschreiben lassen als transzendentale Soundscapes, die in andere Welten locken. Cocos warme Stimme erzählt in melodischen Chören von der sehnsüchtigen Suche nach etwas, das für jede*n Hörer*in anders aussieht. Mal ist es die Liebe, die antreibt, mal die Angst, mit dem eigenen Leben nicht Schritt halten zu können. In jedem Fall aber ist es die Intuition, die Kopp und Kaspers aufeindrückliche Art in Melodien verwandeln, die sich anfühlen wie warmer Sommerwind auf Gänsehaut.
„Ich hatte noch so viel Material übrig, das es nicht auf ‚NOT FROM HERE‘ geschafft hat. ‚your inner voice‘ zum Beispiel, da dachte ich zuerst der kommt drauf, bis ich ihndann irgendwie nicht mehr so gefühlt habe. Im Nachhinein fand ich ihn dann aberdoch geil, also ist er nun auf den B-Sides“, erklärt er. Und zum Glück hat es der Track es noch auf die EP geschafft! Mit musikalischer Eindringlichkeit und einer Energie, die sich nicht schwer beschreiben lässt als mit „ätherischer Wumms“ könnte „your inner voice“ alleinstehend den Soundtrack der Mitte-20er stemmen. Dolphin Love behandelt in viereinhalb Minuten die Sehnsucht nach dem Sinn eines „Selbsts“, die unsere Generation in überwältigenden Zeiten wie diesen gerne mal plagt. „Oh my god, I’m in love“ wiederholt sich die tiefe Stimme in fast schmerzlicher Erkenntnis, darunter schweben sanfte Synth-Spuren, fein dezidierte E-Gitarren tragen das musikalische Motiv, und dank des Arrangements an Kicks, Snares und Hi-Hats pulsiert der Song förmlich durch die Köpfe seiner Hörer*innen.

In mittlerweile vier EPs beweist Dolphin Love, dass man in einer gesättigt scheinenden Musikwelt durchaus Neues entdecken kann. Mit „999“ machte Coco 2022 sein Debüt, 2023 erschien mit „who speaks your mind“ eine introspektive Reise auf der Suche nach dem ominösen Sinn, den wir alle so sehr glauben schon entdeckt haben zu müssen. Die bunten Schattenseiten dieser Idee hört man auf Dolphin Loves vorletzter EP „NOT FROM HERE“ (2025).
Songs aus dem Off: Die neue EP „(not) from here – b-sides“
Mit „(not) from here – b-sides“ schafft Dolphin Love eine Art melodische Alternative zum hektischen Streben nach Sinn. „Ich finde den Gedanken von ‚NOT FROM HERE’ ganz nice – da geht es ja viel darum, dass man irgendwie nie so richtig da ist. Immer ist man irgendwo anders, entweder im Kopf, in der Vergangenheit oder in der Zukunft“, erzählt der Musiker. Die B-Sides stehen für Coco im Gegensatz zu den gedanklichen Irrwegen in den ominösen Fantasie-Sphären unserer Realität. Er lacht: „Die EP ist generell unpolierter, irgendwie eher rough und auch absichtlich nicht sogeil gemixt. Das alles ist so ein bisschen im Moment entstanden.“ Die Piano-Version seines Hits „Bangalow“ von „NOT FROM HERE” entstand beispielsweise auf Nachfrage seiner Managerin während der Promo-Phase im Frühsommer. „Sie meinte, ich könne den Track ja mal in einer neuen Version spielen, einfach damit wir mal was anderes hören. Ich habe den dann auf Klavier ausprobiert und fand’s irgendwie richtig gut“, grinst Coco. Während die Erstversion von „Bangalow“ richtig antreibend ist und Lust auf unbekannte Abenteuer macht, gedenkt die Piano-Version der melodramatischen Komponente, die ja normal immer stillschweigend neben den großen Errungenschaften zu spielen scheint.
„(not) from here – b-sides” beschreiben das Ankommen im Jetzt. Und das findet sich bereits im Intro wieder: Im Titel stehen die Koordinaten an einen Ort, an dem Coco vor einigen Jahren das erste Mal diesen „absurde Gefühl“ gehabt habe, in dem er sich seiner Existenz bewusst wurde. „Da dachte ich so aus dem Nichts: Ja, ok, krass. Ich bin hier.” Dieses Gefühl ist seit der Veröffentlichung am 17. Oktober auch für alle hörbar. Auf ihrem Vinyl-Gig im Rough Trade spielen sie die neue EP das erste Mal live — und holen alle Anwesenden ab. Nach einer Stunde, die sich angefühlt hat wie 15 Minuten und noch endlos hätte weitergehen können, verkündet Coco das Ende der Show. Würde das Publikum nicht sowieso stehen, hätten Dolphin Love Standing-Ovations erhalten.
