(Foto: Marc Bischoff)
Mit seinem Debütalbum „Countless Feelings But So Few Words“ nimmt uns Orbit zurück in den letzten Sommer seiner Jugend: Ein Musik gewordenes Fotoalbum, das davon erzählt, wie wertvoll Heimat und Freundschaft sein können – und wie schmerzvoll der Abschied.
Kaum zu glauben, dass wir erst jetzt sein Debütalbum zu hören bekommen: Nach fünf Jahren erfolgreicher Musikkarriere und fast 50 veröffentlichten Songs hat Orbit bereits 2023 eine eigene Europa-Tour als Headliner gespielt und stand dieses Jahr sogar auf dem Burning Man in den USA. Schon seit seiner Debüt-EP „Perspectives“ begleitet uns seine Musik durch den Alltag.
Mit „Countless Feelings But So Few Words“ findet der symbolische „lange Sommer“, das jugendliche Lebensgefühl, das Marcels bisheriges Schaffen geprägt hat, nun seinen emotionalen Abschluss: ein verträumtes Coming-of-Age-Zeugnis, das vom Älterwerden, der Verbundenheit zur Heimat und von Freundschaft erzählt.
Der Junge aus Achim
Hinter Orbit steckt Marcel Heym aus Achim, einer Kleinstadt mit knapp 30.000 Einwohnern in der Nähe von Bremen. Dort ist der Alltag noch entschleunigt, die Atmosphäre familiär, die Menschen gelassen und die Natur zum Greifen nah. Das spürte Marcel erst richtig, als er sich mit Anfang 20 nach Berlin wagte, um als Produzent Fuß zu fassen. Überfordert vom Großstadtlärm zog es ihn schon bald wieder zurück nach Achim, wo er die Kleinstadt mit ihren vertrauten Gesichtern und begrenzten Möglichkeiten neu lieben lernte.

Im Kreis seiner Freund*innen gelang es Orbit, sich schnelllebigen Musiktrends zu widersetzen und im Einklang mit der Natur seinen eigenen Sound zu finden: ein meditativer Klangteppich aus Beats und gelayerten Synths, meist getragen von einem Kanon gehauchter Stimmen, der eine einzigartige und wunderschöne Melancholie entstehen lässt.
In die weite Welt
Im Februar kündigte Orbit die baldige Fertigstellung seines ersten Albums an und nimmt seither seine Fans mit auf diese persönliche Reise: Wie in einem Videotagebuch gewährt er Einblicke in den Schaffensprozess, teilt Bilder von Freund*innen und spricht ungefiltert über seine Gefühle. Die Tagebucheinträge entstehen im Garten, während Vögel den Sonnenuntergang mit ihrem Gesang untermalen.
Schon bald suchte er auch außerhalb des Internets die Nähe zu seinen Fans und stellte gemeinsam mit ihnen eine Listening-Tour auf die Beine. So bereiste er ganz Deutschland und spielte seine neuen Lieder in fremden Wohnzimmern, Gärten oder direkt in der Natur. Auf Teppichen, zwischen Lichterketten und in Decken eingemummelt, lauschten sie gemeinsam der Musik und schufen so einen intimen Raum der Wertschätzung. Selbst nach der Tour fand Orbit noch Wege, sein Werk weiterzugeben: Mit den Testpressungen startete er eine Art Kettenbrief und schickte die Platten hinaus in die Welt – jede mit der Hoffnung auf einen langen Weg.
Collage aus Erinnerungen
Hält man „Countless Feelings But So Few Words“ in den Händen, erinnert es eher an ein Fotoalbum. Eine Collage aus Fotos von Freund*innen und Liebsten ziert die Vorderseite, auf der Rückseite steht:
„A heavenly place between the forest, vast fields and the river. Here I grew up with my friends. A group of kids who met in school and decided to stay together.“
Hier wird klar, dass nicht Orbit selbst im Vordergrund steht, auch nicht seine Musik. „Countless Feelings But So Few Words“ ist ganz allein eine Liebeserklärung an die Freundschaft – ein Musik gewordenes Fotoalbum voller Erinnerung.
Am unteren Rand finden sich die zehn Titel der einzelnen Lieder. Die ersten neun jeweils aus nur einem Wort, das zehnte trägt den Titel des Albums. Wie kleine Vermerke auf den Rückseiten von Fotos, die verraten, wo oder wann diese entstanden sind. Ein Hinweis, welchem Gefühl, welchem Ort oder welcher Zeit Marcel sie widmet. Von dort an liegt es an den Hörer*innen, eigene Erinnerungen in die Melodien zu dichten.

Klang des Sommers
Inmitten dieses symbolischen Sommers beginnt die Reise mit „Summertime“. Man hört Marcels warme und vertraute Stimme, begleitet von einer Gitarre. Irgendwie erinnert das Lied an einen lauwarmen Sommerabend. Erst ausgelassenes Lachen, dann singende Vögel, später ein Fahrrad und ein Klavier im Outro. Doch während die Abende noch mild sind, werden die Tage kürzer. Der bittersüße Abschied nimmt seinen Anfang.
In „Berlin“ fasst Marcel dann das Gefühl in Worte, das ihn zurück nach Achim verschlagen hat: Die Sehnsucht nach der Heimat wächst, er kann die Großstadtluft kaum atmen, will zurückrennen.
„Take me home, take me home, take me home, take me home” sind seine letzten Worte, bevor der Beat, begleitet von einem Klavier, verklingt.
Heulende Sirenen, die in einem epochalen Beatdrop münden, bescheren einem in „Youth“ Gänsehaut vom Feinsten. Das Musikvideo dazu ist ein privater Zusammenschnitt vieler kleiner Erinnerungen an die Jugend. Momente, die Marcels Freundeskreis über ein Jahrzehnt hinweg gesammelt hat. Sie erzählen vom naiven Alkoholkonsum und dem unbeschwerten Gefühl dieser Tage. Am Ende ziert „Thank you for these moments and for being the best friends I could ever imagine“ den Bildschirm und erinnert daran, wie besonders solche Verbindungen sind.
Alte Bekannte
Über das Album hinweg bauen sich Beat und Synths immer wieder auf und ebben dann wieder ab. Der Gesang erklingt im Chor und erzeugt eine verträumte, fast meditative Atmosphäre. Die Stimmung pendelt zwischen melancholischer Wehmut und optimistischer Dankbarkeit für die gesammelten Erfahrungen. Wer jedoch Experimente erwartet, wird überrascht sein, denn der gewohnte Sound von Orbit kehrt zurück und bleibt in gewohnten Mustern – ein musikalischer Beweis dafür, dass Marcel angekommen ist und sich dort wohlfühlt, wo er gerade steht.
Ebenso vertraut setzt immer wieder der Gesang von Morlin ein. Sie ist Marcels wichtigste Begleiterin auf seinem Weg und für Orbit Hörer*innen seit der ersten EP eine vertraute Stimme. Selbst die Musik erinnert sich auf „Countless Feelings But So Few Words“ daran, wie Zuhause klingt.
„Don’t mind. You’re wasting it.“
Youth – Orbit
Abschied
Kurz vor Ende gewinnt das Album in „Losing“ ein letztes Mal an Tempo. Der Klang wird optimistischer und leitet den Abschied ein. Dann Stille. Die finalen sieben Minuten und vierunddreißig Sekunden des letzten Sommers.
Ein verträumtes Rauschen, Vogelgezwitscher zwischendurch, ein Windspiel. Ab und zu hört man die Stimmen der Liebsten. Und während die vorherigen Titel aus nur einem Wort bestehen, kommt ausgerechnet „Countless Feelings But So Few Words“ ganz ohne Worte aus. Orbit schweigt und lässt nur noch die Musik für sich sprechen. Die letzten warmen Momente, in denen die Jugend vorbeizieht.
Der Sommer endet. Nur die Erinnerung bleibt.
