BROCKHOFF (Foto: Charlotte Krusche)
BROCKHOFF hat vergangenen Freitag ihre Debüt-EP „Sharks“ veröffentlicht. Zu diesem Anlass traf picky Sofia die Newcomerin am Donnerstag kurz vor Release, um unter anderem über die Entstehung zu sprechen.
16:41 Uhr an einem sonnigen Donnerstag in Hamburg. Ich muss mich sputen, um die U3 Richtung Sternschanze zu erwischen. Dort bin ich nämlich vor Falafel Kimo mit Lina, besser unter ihrem Pseudonym BROCKHOFF bekannt, verabredet. Während ich also die Rolltreppe an den Landungsbrücken, die mal wieder nicht geht, wie sollte es anders sein, hoch hechel, tönt durch meine Kopfhörer ein catchy E-Gitarren-Riff über das sich eine unverwechselbare und gleichermaßen behutsame Stimme legt: “I hope you get the message of the song I chose / Lately I had the feeling you’ve learned how to read my face during conversation / Still fear misinterpretations”. Als ich den Song “2nd Floor”, aus dem die Zeilen stammen, zum ersten Mal zu Gehör bekam, hat’s mich direkt erwischt. Seitdem bin ich nicht mehr von BROCKHOFF losgekommen. Mit jeder neuen Single hat sich der Mund-klappt-auf-Moment nicht nur verdoppelt, sondern gar quadriert. Umso größer ist die Freude, Lina gleich ein paar Fragen zu ihrem Debüt zu stellen.
Ehe wir uns gemeinsam auf den Weg in Richtung Schanzenpark machen, besorgen wir uns noch zwei Kaltgetränke unserer Wahl. Auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen kommen wir am Schanzenzelt vorbei, in dem gerade irgendeine Punkband spielt oder Soundcheck macht. Aber dass soll uns nicht weiter stören, also setzen wir uns. “Hol mal raus, deine Zettel!” Einmal kurz tief durchatmen, Check, Test 1-2-3, Aufnahme läuft.
Lina erzählt mir, wie das Projekt BROCKHOFF seinen Anfang und Lauf nahm. Seit zwei Jahren wohnt sie mittlerweile in Hamburg, die Songs auf “Sharks” sind allesamt hier entstanden. “Davor habe ich sehr lange solo Musik gemacht und war auch immer viel alleine unterwegs, aber nie mit Band oder so”, das sollte sich spätestens mit ihrem Umzug in die Hansestadt ändern. Eigentlich kommt Lina aus einem Dorf in der Nähe von Hildesheim. Von ihrem Umzug versprach sie sich, wie sie mir erzählt, “aus der Kleinstadt rauszukommen” und sich “musikalisch neu inspirieren zu lassen”. Hat geklappt.
In dieser Phase hat sie sehr viel ausprobiert, mit vielen unterschiedlichen Leuten geschrieben und sich 2020 für den Popkurs an der Hochschule für Musik und Theater eingeschrieben. “Das war auf jeden Fall ein prägendes Erlebnis”, sagt Lina heute über den Popkurs. “Danach hatte ich auch klar für mich, wie ich meinen Sound gerne hätte.” Zu dem Zeitpunkt hat Brocki Phoebe Bridgers, Soccer Mommy und Snail Mail für sich entdeckt, die auch heute noch ihr Inspirationsfundament bilden. Von da an habe sie immer öfter die E-Gitarre in die Hand genommen. Ein Glück!
Wir sprechen darüber, wie besagte Künstlerinnen die Türen für diverse weitere weiblich gelesene Gitarrenbands und -Acts geöffnet haben. Das Ergebnis dieser Pionierinnenarbeit scheint sich auch endlich hier in der deutschen Indie-Szene bemerkbar zu machen. Brocki ist Teil von diesem Movement, wie ich finde. “Die haben sicherlich die jetzige Indie-Generation hier geprägt, weil man mehr weibliche Vorbilder hatte. Es ist richtig schön zu sehen, dass in der deutschen Indie-Szene immer mehr weibliche Artists auftauchen.” Unterschreibe ich so.
Warum es mir BOCKHOFF von Song eins an so sehr angetan hat? Hauptgrund dafür ist sicherlich wie präzise Lina in ihren Songs einzelne Situationen beschreibt, sodass man das Gefühl bekommt, man stünde gerade daneben während Besungenes geschieht. Die Songs leben von äußerst detailreichen Bildern, in die man mit entführt wird. Also frage ich sie, ob es ihr schwer falle, diese intimen Gedanken und Geschichten mit der Welt zu teilen. “Mir fällt es tatsächlich gar nicht so schwer, weil alles sehr intuitiv passiert. Es sind zwar oft die Gedanken, wo ich am Anfang immer zögere, weil ich denke: ‚Oh, vielleicht ist das jetzt zu direkt und zu nah an der Realität’ aber am Ende sind sie es, die den Song für mich ausmachen und am meisten berühren.” Recht hat sie. “Bei mir kommt diese Direktheit sehr natürlich, weil ich das auch sehr an Musik, die ich selber höre, bewundere, wenn Zeilen mal weh tun oder roh sind.”
Darüber musste ich kurz nachdenken. Während man als Musikkonsument*in oft das Gefühl bekommt, Musiker*innen würden ihre Songs bewusst allgemeiner halten, damit mehr Raum zur Identifikation bleibt, sind es vielleicht ausgerechnet die Songs, die ein sehr konkreten Zustand beschreiben, in die man sich am besten hineindenken kann. Genau weil man ein klareres Bild vorm inneren Auge hat, das sich ins kollektive Gedächtnis einbrennt. Ich teile meine Überlegung mit Lina, die gerade an ihrer Apfelschorle nippt und mir diesen Gedanken aus Songwriting-Perspektive bestätigt: “Sobald ich versuche etwas sprachlich zu umschiffen oder allgemeiner zu werden, dann stocke ich auch direkt beim Songwriting. Die Songs sind alle sehr schnell entstanden, weil ich immer eine bestimmte Situation vor Augen hatte, um die ich die Geschichten dann drum herum gesponnen habe. Und trotzdem kann man damit ja auch ein größeres Gefühl oder eine größere Thematik ausdrücken, mit der sich andere identifizieren können.”
Da sind wir uns dann wohl einig. Es wird also Zeit, über besagte Geschichten zu sprechen. Ich denke zurück an die Zeilen, die nun seit Monaten meinen Kopf besetzen. “I hope you get the message of the song I chose / Lately I had the feeling you’ve learned how to read my face during conversation / Still fear misinterpretations”. Immer und immer wieder. Besonders über den letzten Satz bin ich gedanklich öfters gestolpert. Kann man sich vor der Angst enttäuscht zu werden, weil man Signale missdeutet hat, überhaupt schützen und wenn ja wie? Ich erhoffe mir eine Antwort à la Dr. Sommer. “Kann man bestimmt, aber nicht so gut in der ersten Phase des Gefühlschaos im Verliebtsein, wenn es noch unausgesprochen ist und noch nichts klar auf dem Tisch liegt. Klar gibt es Anzeichen, aber die hinterfragt man dann tausendmal”. Wenn nicht sogar öfter. Jede Geste und jedes Wort zerdenken, das kenne ich zu gut. “Diese Unsicherheit, die diese Phase begleitet, ist sehr schwer zu überwinden, wenn man von den ersten starken Gefühlen geblendet wird […] Da fällt es sehr schwer rational zu denken.” Für diese Phase ist “2nd Floor” zwar kein musikalischer Ratgeber, aber ein Verbündeter und das auf die schönste Art und Weise.
Apropos Zerdenken. Ich hake nach: “Würdest du dich als Overthinker bezeichnen?” Ich muss nicht lange auf die Antwort warten: “Ja, würde ich schon sagen. Manchmal verfluche ich es, aber es gehört irgendwie dazu. Ich mache mir schon immer sehr viele Gedanken.” Wenn aus diesen Gedanken dann aber solche Songs entstehen, ist es vielleicht nicht nur hinderlich, sondern auch Gewinn bringend.
Nach einer kurzen Unterbrechung, verursacht durch einen Wurm, der mein Zettelchaos zu seinem Biotop designiert hat, sprechen wir über die Ambivalenz, die in jedem Gefühl steckt und in Linas Songwriting zum Tragen kommt: “Gerade, wenn man ein eher zweifelnder Typ ist, dann ist es oft so, dass alles Schöne auch seine kleinen Risiken und Tücken mit sich bringt.” Es sind die Risiken und Nebenwirkungen, die die Songs auf “Sharks” so wertvoll machen.
Müsste man für die EP einen Sammelbegriff finden, so erscheint die Idee, die Songs unter dem Mantel “Coming-of-Age” zu vereinen, nicht gerade abwegig. Ich frage mich, ob das Schreiben von Songs bei der Beantwortung der Frage, wer man eigentlich sein will, hilft oder oder hemmt. Wo steht Lina gerade in ihrem Selbstfindungsprozess als Anfang 20-jährige und welche Rolle spielt BROCKHOFF dabei? Sie gibt offen zu, dass sie eher das Gefühl habe, es würden immer mehr Fragen auftauchen, beteuert aber im selben Atemzug, dass jede Erfahrung von der sie auf der EP spricht, sehr viel mit ihr gemacht und sie daraus gelernt hat. “Ich würde mich nie im Leben als erwachsen bezeichnen, das sagt nur mein Perso.” Dito. Lina schiebt hinterher: “Es ist aber nicht so, dass ich beim Songwriting endgültig mit Dingen abschließe. Teilweise beschäftigen mich Sachen, die auf der EP vorkommen, immer noch”. Da ist es wieder, das Overthinkertum.
“Songwriting hilft mir schon, Gefühle besser für mich einzuordnen, aber das kommt dann oft auch erst im Nachhinein. Wenn ich Songs von mir höre, die ich vor einer Weile geschrieben habe, dann fühle ich nicht immer genau dasselbe.”
Lina alias BROCKHOFF über Songs als On-Going-Process
Die Kaltgetränke sind vernichtet und das Hinterteil (also meins zumindest) so langsam plattgesessen. Die Punkband aus dem Schanzenzelt spielt immer noch. Unermüdlich. Das muss man bei 28 Grad auch mal loben! Es wird Zeit für die alles entscheidende Frage: Warum performt BROCKHOFF im Musikvideo zu “Sharks” ausgerechnet auf dem Fußballplatz des 1. FC Hellbrook e.V.? “Es war ein riesen Struggle überhaupt einen Fußballplatz zu finden!” Okay, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Fußballplätze gibt es doch en masse? Jedenfalls entpuppte sich die Suche nach einem Drehort als ein Krampf, der sich über mehrere Monate hinwegzog. Ursprünglich wollte Brocki auf dem Fußballplatz hier um die Ecke am Schanzenpark drehen. Die Behörden konnte Lina leider nicht ausdribbeln. Wie sie auf den 1. FC Hellbrook gekommen ist, ist beinahe so banal, dass man es als Fügung des Schicksals werten muss: “Irgendwann wurde die Suche immer verzweifelter. Ich hab wirklich einfach nur noch ‘Fußballplatz Hamburg’ gegoogelt und bei der Bildersuche kam dann das Bild von diesem Ascheplatz. Ich bin da drauf gegangen, hab gesehen, dass es der Platz vom 1. FC Hellbrook ist und hab da einfach angerufen.”
Auf der Party, um die es auf dem Song “Sharks” geht, waren auch ein paar Fußballfans der unangenehmen Sorte zu Gast, wie Lina ergänzt. “Tja, dann war ich im Musikvideo halt so badass und hab mich mit meinen sad songs auf den Fußballplatz gestellt.” Ganz ehrlich: Dieser Twist zeugt von absoluter Raffinesse.
Die Fragen auf meinen Zetteln sind allesamt beantwortet. Nur noch der Blank Space muss gefüllt werden. Sichtlich überfordert mit der Frage, was sie noch loswerden will, bricht Lina die Stille schließlich mit folgendem Anliegen: “Da vorne ist die fucking steilste Rutsche der Welt. Wenn ihr mal so richtig Nervenkitzel braucht, dann könnt ihr mal auf diese Rutsche gehen. Die hat es in sich. In diesem Sinne: good slide!”