Sternensplitter und Heptapoden – Das Interview zur neuen EP von Till Otter.

Am 30.1.2021 erschien Till Otters erste EP Morgentau. Die Songs sind eine Mischung aus halbelektrischer Atmosphäre und metaphorischer Ehrlichkeit. Der Künstler hat sich mit picky Alyssia ein wenig über Abstraktion, Interpretation und den verrückten Till-Otter-Kosmos unterhalten. 

Deine EP ist jetzt fünf Tage draußen. Wie geht es dir damit?

Es ist ein wenig überwältigend. Nicht nur ein wenig. Zu sehen, wie sich diese ganze Arbeit auszahlt, das ist irre. Bevor ich diese EP herausgebracht habe, war meine ganze musikalische Existenz eine sehr private Sache, weißt du? Alle, die wussten, dass ich Musik mache, kannte ich auch persönlich. Jetzt mit dieser EP kommen wirklich neue Leute dazu, die mich nur übers Internet gefunden haben, über YouTube oder Spotify und so weiter. Die kenne ich nicht, die kennen mich nicht im realen Leben. Ich hab so ein bisschen das Gefühl, die Stützräder sind weg vom Fahrrad meiner „Karriere“.

Man muss sich erstmal kognitiv darauf einstellen, dass fremde Leute einen finden und mögen, was man macht. Das ist total schön, aber irgendwie auch überfordernd. Es ist eine kleine Sache, die sich für mich sehr groß anfühlt.

Kannst du in fünf Wörtern beschreiben, worum es in der EP geht? 

Ich glaube, ich brauche sogar weniger: Meine letzten Lebensjahre. Auch wenn ich das blumig, metaphorisch und abstrakt verpacke, sind alle Songs autobiografisch. Für mich ging es bei der EP auch um die Verarbeitung von Erlebnissen, auch von sehr schlimmen Erlebnissen, deswegen startet die EP auch ein bisschen düsterer, aber es geht um das Genesen nach solchen Erlebnissen. Am Anfang der EP geht die Welt unter und am Ende (Spoileralert!) steht sie wieder auf. 

Es fängt an mit Apokalypse Wow und endet mit Morgentau

Genau. 

Hast du einen Lieblingssong auf der EP? 

Ja. Ja, hab ich. Also, ich fühle mich dabei beinahe schuldig, das sind ja alle meine Babies, aber es ist der zweite Song: Der Heptapoden Walzer. Der fasziniert mich, weil ich irgendwie auch nicht ganz verstanden hab, wie er entstanden ist. Manchmal ergibt dieser Song für mich total Sinn, manchmal auch wieder gar nicht. In der Mitte gibt es einen Part, wo das typische Strophe-Refrain-Schema zerbrochen wird und es so in einen Synthie-Spoken-Word-Part übergeht, das finde ich super geil. Das ist so arty-farty shit, was ich total liebe. Ich liebe auch richtig poppige Popmusik, aber daran hatte ich super viel Spaß. Auf diesen Synthie-Part bin ich besonders stolz. Ich hab mich irgendwann zu Hause an meinen Computer gesetzt und diesen ganzen Part eingespielt und mit den Sounds herum probiert, und hab das dann meinem Produzenten geschickt. Der meinte auch, dass das super passt, und so kam der Part in den Song. Ganz alleine hab ich da was für den Song produziert, obwohl ich eigentlich nicht so an meine Produktions-Fähigkeiten glaube, das macht mich immer noch glücklich. 

Mein Kopf ist durchbohrt von Sternensplittern und Farben und Regen.

Till Otter in Heptapoden Walzer

Kurze Frage zwischendurch: Was sind Heptapoden? 

Das sind Aliens. Der Song ist inspiriert von einem Science-Fiction Film, der Arrival heißt. In diesem Film kommen Aliens auf die Erde, und die werden Heptapoden genannt. Erstmal drehen alle durch, weil keiner weiß, was die Aliens wollen, und dann wird eine Linguistin angeheuert, um mit den Heptapoden zu kommunizieren. Der Film ist total Blockbuster-mäßig aufgemacht, aber eigentlich geht es nur um Kommunikation, ich kann den Film echt nur empfehlen. In gewisser Hinsicht geht es bei dem Song Heptapoden Walzer auch um Kommunikation, aber … das möchte ich nicht ganz festlegen. Damit noch Interpretationsspielraum bleibt. 

Ja, weil deine Songs sonst immer sehr einfach zu interpretieren sind…

Ha! (Lacht) 

Ich muss ehrlich sagen, ich frage mich manchmal, ob ich feige bin. Bin ich feige, dass ich immer alles so kompliziert ausdrücke? Viele machen es sich da viel einfacher, was ich auch geil finde. Aber ich kann das nicht. Ich mag aber auch nicht immer nur dieses Verkopfte, aber anders geht das nicht. Aber manchmal wünschte ich mir, ich müsste mich nicht hinter diesen komplizierten Ausdrücken verstecken. Aber irgendwie ist das Leben ja auch kompliziert. 

Ist ein genauerer, aber dafür komplizierter Ausdruck nicht näher an der Wahrheit? 

Ja, sicherlich. Aber ich denke, es gibt noch einen Unterschied zwischen kompliziert und metaphorisch ausdrücken. Es ist irgendwie kompliziert ungenau, da ich alles in Bilder und Symbole verpacke. Gleichzeitig kommen wir damit aber auch zum Kern der EP, dass es halt total biografisch ist. Ich brauche das, dass ich aus Erlebnissen abstrakte Sprachbilder forme. Dadurch werden Dinge, die ich als unangenehm empfunden habe, zu einem schönen Bild, das ich einfacher verarbeiten kann. 

Das macht es auch schon ganz schön ehrlich. Jetzt kommt die Authentizitätsfrage, ist das wirklich so gemeint? 

Ich hab auch überlegt, wie viel genau ich von dem Inhalt oder den Beweggründen der einzelnen Songs erzählen möchte. Ich möchte authentisch sein, aber dennoch hab ich diese Songs geschrieben, und das sind Songs in die jeder sehr viel von sich selbst geben kann. Jede*r Musikhörer*in kennt das Gefühl, sich in einen Song hineinzuversetzen, und je mehr ich zu einem Song sage, desto weniger kann man selbst hineininterpretieren. Das möchte ich aber unbedingt bewahren. Gleichzeitig möchte ich aber den Leuten auch einen einfacheren Zugang zu meinen abstrakten Songs ermöglichen. 

Du bist genau, und allgemein. Du lässt Raum und gibst gleichzeitig Details. Finde ich sehr interessant. 

Till Otter für seine EP Morgentau
„Ich trage stolz Glitzer und Nagellack, seit du mich verraten hast. So soll es sein.“ – Morgentau

Wie hast du die Singles ausgewählt?

Lieben und Lieben Lassen haben wir am Anfang der Pandemie rausgehauen, was wir eigentlich da noch gar nicht vorhatten. Das war diese Phase, wo wir alle frisch in Quarantäne saßen, und alle hatten Schiss, keiner wusste was abgeht, wir hatten alle nichts zu tun. Es kam ja auch nichts neues raus, keine Filme, keine Serien, keine Musik. Zu dem Zeitpunkt hab ich allein gewohnt, habe nur auf meinen zwanzig Quadratmetern gehockt, und ich hatte das Gefühl, dass ich und wahrscheinlich auch sehr viele andere einfach mal brauchen, dass etwas schönes passiert. Dieser Song war schon fertig, und ganz ehrlich: da haben wir gedacht, wir hauen den schon mal raus. Ich glaube, es hat auch ein paar Leuten Freude gemacht.

Apokalypse Wow kam bisher live am besten an, und ist ein guter Einstieg zum verrückten Till-Otter-Kosmos. Deswegen wurde er zur Single. Gleichzeitig hatte ich ein wenig Sorge, dass das apokalyptische Thema zu sehr auf die aktuelle Situation bezogen wird, aber der Song bezieht sich nicht auf die Pandemie und so weiter, deswegen haben die Vorteile auf jeden Fall überwogen. Kann man schon machen. 

Was möchtest du noch loswerden? 

Liebe Leser*innen da draußen, bleibt gesund und munter! Und wenn ihr mögt und nicht total verstört seid von diesem komischen Kauz aus dem Interview hört doch mal in die EP rein, vielleicht gefällt sie euch ja.