Joshua Lutz mit The Road Up North: Experimental

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Joshua Lutz veröffentlicht mit seinem Experimental-Projekt The Road Up North ein wahres Feuerwerk an Experimental Musik. Der Künstler im Interview zum Thema Experimental.

Nachdem mich Joshua vor einiger Zeit angeschrieben hatte, ob ich nicht etwas zu seinem neuen Projekt machen wollte, war ich erstmal skeptisch. Experimental? Das sind doch meistens irgendwelche komischen elektronischen Klänge von unbegabten Leuten ohne Rhythmus, Tonlage oder anderem Grundgerüst. Und das wird mir dann als bahnbrechende Musik verkauft. Eher nicht.

Bei The Road Up North und Fauna hatte ich jedoch einen etwas anderen Eindruck. Irgendwas an der Musik hat mich gepackt, oder zumindest soweit geistig gefordert, dass ich nach ein paar Tagen doch noch mal ein Ohr in die Musik gesteckt habe. Ich glaube zwar immer noch, dass der Grad zwischen Verständnis und dümmlich lächelndem Abnicken bei Experimental-Hörern verdammt schmal ist. Dennoch dachte ich, dass es eine gute Gelegenheit wäre, einem Experimental-Künstler mal alle Fragen zu stellen, die ich schon immer mal fragen wollte!

Herausgekommen ist dieses, doch ausführliche Interview:

Joshua Lutz im Interview zu Experimental-Musik

Tim: Wie genau definierst du Experimental Musik?
Joshua Lutz: Ich würde sagen, ich mache normale Musik und andere Musik ist eher »un-experimentell«, aber ja, das Experiment ist mit der wichtigste Teil an der Klangwelt, die ich mir erschließen will. Ich finde allerdings, dass ich mich mit dem Album noch immer in vielen Konventionen bewege. Es geht immer »experimenteller«. Ich definiere Experimental Musik als die Musik, die den Hörer und den Produzenten in alle erdenklichen Gefühlszustände bringt, die man noch nicht kannte, oder in eine Welt entführt, in der man vorher noch nicht war.

Tim: Wie bist du dazu gekommen, so ein Experimental-Großprojekt zu starten?
Joshua Lutz: Einerseits um über mich selbst hinauswachsen zu können, ich brauchte eine große Vision. Aber um an die vorherige Antwort anzuknüpfen: Genau aus dem Grund, in neue Welten einzutauchen. Es ist ein bisschen so, als ob ich mich durch diese Produktionen einfach in neue Eigenresonanzen bringen will. Außerdem habe ich das Bedürfnis, Menschen wieder Geschichten durch Musik zu erzählen. Da dachte ich, warum nicht eine Geschichte über mehrere Alben. Und weil gute Geschichten Kontraste brauchen, Dynamik, kurze und lange Spannungsbögen, Überraschungen, Pointen und das Unerwartete, braucht es die Musik, die diesen Inhalt erzählen will, eben auch.

Tim: Warum produzieren Menschen wie du Experimental-Musik?
Joshua Lutz: Gute Frage. Wenn ich in diesem Fall von mir ausgehen darf, dann eindeutig, weil ich, oder Menschen wie ich, sich selbst, das Leben und die Welt hinterfragen, reflektieren und Antworten auf teils viel zu große Fragen suchen. In meinem Fall sind es vor allem die inneren Prozesse und Stärken des Menschen und seiner Natur, die es wieder neu zu entdecken gilt. Der Wayfarer, die zentrale Figur in der Geschichte The Road Up North, begibt sich auf die Reise ins spirituelle Innere und begegnet in Form von Figuren und symbolischen Szenen unter anderem seinen Ängsten und den Werten, die er verloren zu haben glaubt. Er begibt sich auf die Reise, auf die ich mich tatsächlich selbst auch begebe. Manchmal ist der Wayfarer mir selbst voraus und ich lerne von ihm.
Aber es gibt noch einen Grund: Alles was ein Künstler in der Welt und in sich wahrnimmt und entdeckt reorganisiert er quasi in dem was er erschafft. In meinem Fall in Klängen, Worten und deren Komposition. Aber ich produziere auch einfach experimentell, weil das Spaß macht und mich fasziniert. Das nachzuahmen, was einer breiten Masse möglichst gut taugt, davon habe ich nichts. Und ich finde der aufmerksam hörende Mensch hat davon auch nicht wirklich was.

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Das Cover zu Fauna (So sieht auch der Hummus in meinem Kühlschrank aus, nachdem ich ne Woche im Urlaub war)

Tim: Warum glaubst du hören Menschen sich dein Album an?
Joshua Lutz: Weil sie sich entführen lassen wollen in diese inneren Welten, die ja hauptsächlich instrumental ist. Ich glaube Sie hören es sich an, weil sie Türen in sich finden und öffnen wollen. Und gerade in der instrumentalen Musik wird nicht durch die Bestimmtheit der Sprache abgelenkt, sondern instrumentale Musik bleibt immer irgendwie frei. Wenn ich mir in dann noch zu erschließen versuche, was die Musik über das eigene Leben und die Welt aussagt, warten immer viele Erkenntnisse auf mich. Für manche braucht das Mut und Unvoreingenommenheit. Für mich ist das zum Glück zu einer, natürlich auch manchmal anstrengender Gewohnheit geworden.

Tim: Welche Chancen siehst du in experimenteller Musik für andere Musik?

Joshua Lutz: Das zeigt die Bewegung der Trap Musik sehr gut. Ich und meine Leipziger Musiker durften Trap noch entdecken, als es eine hoch experimentelle Subkultur-Bewegung aus Amerika war, die zum Glück immer noch besteht. Für »andere« Musik, wo ich dann eher von Mainstream-Musik sprechen würde, bestand die Chance darin, sich die Stärken dieses Subkultes auf banale Art und Weise zu eigen zu machen. Da geht viel verloren, andererseits kann das die Hörer diese anderen Musik durchaus zu Musiksuchenden werden lassen.

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Joshua Lutz © Daniel Lukac

Ansonsten könnte man sich auch fragen: Welche Chancen bestehen durch experimentelle Musik für andere Musiker: Ich würde behaupten, sie gibt anderen Musikern den Mut, ebenfalls Grenzen zu überschreiten, auch die eigenen. Mich selbst inspiriert das Experiment in der Musik schon immer, meine eigene Klangwelten zu erschließen. Ich selbst finde ja zum Beispiel, dass meine Musik durchaus „normale“ Stellen hat, die für ein breites Publikum immer noch zugänglich sind, ich selbst aber bin von viel experimentellerer Musik inspiriert. Free-Jazz, Tape-Experimente aus den 70ern, die ernste elektronische Musik um Stockhausen, natürlich auch mutige klassische Musik. Stravinsky wurde zu seinen Lebzeiten teilweise als »viel zu experimentell« wahrgenommen. Heute liefern seine Kompositionstechniken den Standard-Klang zu jeder Filmmusik.

Tim: Gibt es innerhalb von Experimental noch einmal Unter-Genres?
Joshua Lutz: Ich glaube genau da liegt eine Stärke von experimenteller Musik: Sie braucht kein Genre. Ein Sinn liegt eben darin, sich keinem Genre zuzuordnen.
Aber dann kommt der Moment in dem die Bands und Produzenten in ihren Presskits eben doch Worte finden müssen für das, was sie machen. Deswegen besteht diese Genren-Welt auch nur noch aus Neologismen und man stolpert über Complextro, Catstap oder Solipsynthm. Vor 50 Jahren hat man einfach gesagt es ist Fusion, als man anfing, popkulturelle Genres zu kombinieren. Ich will mich deshalb eher von Kategorien lösen. Zuordnen können mich gerne die Kritiker. Ich finde, man sollte sich Musik einfach vermehrt aktiv anhören und für sich selbst entscheiden, ob sie einem etwas gibt oder nicht. Zum Beispiel geben mir bestimmte Arten von Jazz sehr viel, andere hingegen überhaupt nichts. Da sieht man, dass Kategorien nur bis zu einem bestimmten Grad hilfreich sind.

Fauna im Universum der Experimental-Musik

Tim: Wo würdest du dein Album Fauna einordnen?
Joshua Lutz: Fusion. Von der Manier her ist es Fusion. Nicht Fusion als Jazz-Rock, das wäre eine Variante der Fusion. In meinem Fall ist es die »Fusion« aus Hip-Hop, Jazz, Filmmusik, Jungle, Ambient, aus allem was mich inspiriert.

Tim: Welche Dinge haben dich beim Produktionsprozess inspiriert?
Joshua Lutz: Die Story selbst war immer Vorlage, also Hauptinspiration für die Klangwelt. Die Motive und Szenen bestehen zum Beispiel aus dem Wald, den Ängsten, einem Teich der inneren Seelenruhe, der Stille, der Nacht, dem Kampf ums überleben, die Idiotie der Menschen. Ich komme nicht darum mich über all diese Dinge zu belesen. Im Mittelpunkt stehen eigentlich die großen philosophische fragen. Deshalb konnte ich gar nicht anders, als mich mit dem Nichts auseinanderzusetzen, ebenso wie mit dem Allem, also dem All, wenn man der Etymologie des Wortes folgt.
Für die nächsten Alben und EP’s die schon seit einer Weile im Entstehungsprozess sind, bin ich dann noch viel tiefer in den Ozean der archaischen Symbolik, Analogien und auch hochreligiösen Themen, gefallen. Mein Hochschulleiter bezeichnet meine Musik, positiverweise, nicht ohne Grund als modernes Mystik-Theater.

Tim: Wie sieht so ein Experimental-Songwriting-Prozess bei dir in der Regel aus?
Joshua Lutz: Ich schwinge im Wechsel zwischen Hingabe zum Experiment und dem berechnendem Komponieren. Dann frage ich mich immer wieder: Erzählt dieser Track oder diese spezifische Stelle gerade noch die Geschichte oder erzählt mir tatsächlich die Musik-Skizze gerade etwas Neues über meine Geschichte? Ach und ordentlich muss es sein in der Wohnung. Ist es da nicht aufgeräumt, ist es mein Geist auch nicht wirklich.

Tim: Welche Botschaft soll dein Album senden? Wo ist der Twist?
Joshua Lutz: Die Musik an sich soll die Botschaft senden: Entdecke dich und hinterfrage Grenzen. Die grenzen in die man sich selbst schafft, oder die von der Gesellschaft geschaffen werden. Gehe auf die Reise und werde zum Sammler, heiße alles willkommen, was Mutter Natur die gibt, pflücke Erkenntnisse wie Früchte und trage sie weiter. Der lyrische Twist selbst ist in der Story zu lesen. Den verrate ich aber nicht 😉

Tim: Und wie sollte man sich dein Album im Idealfall anhören?
Joshua Lutz: Mit Zeit. Nicht nebenher. Vielleicht ein Espresso dazu und ein Glas Wasser mit Limettenscheibe und Minze drin. Wer will, kann die Story parallel dazu lesen im Booklet. So ist die Geschichte und die Musik designed, die Story ist voll und ganz in der Musik assoziiert. Aber das ist nur ein Angebot, ich glaube die Bilder, die man von selbst kreiert sind auch wichtig.

Tim: Hast du noch eine Nachricht an die Leser?
Joshua Lutz: Vielleicht die, die meine zunehmend demente Großmutter neulich formulierte: Der Mensch schafft Möglichkeiten, das ist was er gerne tut. Aber inzwischen machen diese Möglichkeiten uns kaputt. Und da beschäftigt mich sehr der Bezug zur Musik: Weil wir die Möglichkeit haben, überall und immer Musik zu hören, tun das auch die meisten. Aber weil Musik, die Aufmerksamkeit braucht, eben Aufmerksamkeit braucht, hört man eher die Musik, die wenig Aufmerksamkeit braucht weil sie wenig Gehalt, wenig Inhalt hat. Deswegen ist jetzt meine persönliche Nachricht:

Nehmt euch als Anfang mehr Zeit für aufmerksames Musik hören, und gönnt euch über den Tag dann mehr Zeit für Stille. Entdeckt in ihr euch selbst! Da warten einige Belohnungen, die man nicht im Internet bekommt und sich durch Geld kaufen kann.

Amen.