Behind The Scenes: Im Gespräch mit EIUNDRUND

Julius Eirund alias EIUNDRUND beim Videodreh mit Urbannino zu „Du bist genauso..“

Julius Eirund (@EIUNDRUND) ist Art Director, (Konzert-) Fotograf und (Tour-) Filmer. An einem Off-Day im März der “Das ist keine Tour” von Urbannino trafen wir Julius in Hamburg, um über sein visuelles Verständnis von Musik, grafische Konzepte, den Druck unique zu sein und die Wertschätzung von Musikvideos zu sprechen. 

Wir haben Montag, den 27. März. Im Kandie Shop auf St. Pauli bin ich mit Julius verabredet, der gerade von der ersten Rutsche von Urbanninos “Das ist keine Tour” zurück ist. Vor genau einer Woche haben wir uns das letzte Mal gesehen beim Tourauftakt im Knust ein paar hundert Meter von unserem Treffpunkt entfernt. Julius, der als EIUNDRUND seine visuellen Konzepte und Ideen veröffentlicht, flitzte an besagtem Abend wie so oft auf Konzerten mit seiner Kamera durch die Venue, um die denkwürdigen Momente des Abends festzuhalten. Ist er gerade nicht als (Tour-) Filmer oder (Konzert-) Fotograf unterwegs, ist Julius in der deutschen, new wavigen Untergrund-Szene vor allem für seine filmischen Umsetzungen und Musikvideos bekannt. 

picky Sofia: Bevor wir tiefer in deine Arbeit eintauchen: Wer hat dich überhaupt für Kameras begeistern können?

Julius: Das ist eigentlich eine witzige Story, ich mache das ganze ja noch gar nicht mal so lange. Angefangen hat es in Vietnam. Dort haben Freunde und ich, mit denen ich zu der Zeit in Asien unterwegs war, einen Tattoowierer kennengelernt. Der hatte so eine kleine Analogkamera, wir haben miteinander geschnackt und ich habe ihn gefragt, ob er vielleicht weiß, wo ich auch eine herbekommen könnte, um meine Zeit dort zu dokumentieren. Bevor wir uns verabschiedet haben, hat er mir seine Kamera gegeben meinte aber auch, dass ich sie auf keinen Fall verlieren darf, weil das die Kamera von seinem verstorbenen Dad gewesen ist und ihm deswegen krass viel bedeutet. Er hat mir sie trotzdem gegeben und meinte, dass sie bei mir wohl besser aufgehoben wäre, weil er sie eh nicht benutzt. Das war mein erster Berührungspunkt mit der Fotografie.


Das war also der Auftakt. Julius erzählt, dass er versprechen musste, sie auch wirklich zu benutzen. Die Kamera war von dort an ein treuer Reisebegleiter. Mittlerweile hat sie leider eine Altersschwäche, transportiert den Film nicht mehr richtig. Trotzdem steht sie noch in Julius Zimmer, sie soll eine Erinnerung daran sein, wie alles begann. Zurück aus Asien in Deutschland und ein bisschen lost schreibt sich Julius in seiner Heimatstadt Wiesbaden für einen filmografischen Studiengang ein, den er von einem Freund empfohlen bekommen hat. Von dort an nehmen die Dinge ihren Lauf.

Etwa zur gleichen Zeit beschließt Flo aka Urbannino, das mit der Musik so richtig ernst zu nehmen, die beiden Freunde verbünden sich. So entsteht das aller erste Musikvideo aus Julius Feder “Corsa” für den damals noch sehr hiphop-angehauchten Urbannino (über seinen Sinneswandel hin zur NNDW und warum er dem Rappen den Rücken gekehrt hat, haben wir mit Urbannino hier gesprochen). Inzwischen würde Julius anders an solch ein Video rangehen, sagt er heute, doch mit “Corsa” ist der Grundstein für viele weitere noch kommende Projekte gelegt, in denen sich seine visuelle Handschrift manifestieren wird.

Das aller erste Musikvideo: „Corsa“ von Urbannino

picky Sofia: Gibt es eigentlich jemanden, der deine Ästhetik geprägt hat?

Julius: Ich glaube, da gibt es nicht so wirklich eine Person oder Sache. Es sind immer Momente und Phasen im Leben, in denen ich mich befinde, die mich dazu inspirieren, eine bestimmte Emotion zum Beispiel im Videokontext zu visualisieren.

picky Sofia: Wie würdest du deine Ästhetik denn beschreiben, gibt es einen roten Faden?

Julius: Das ist eine komplizierte Frage, weil ich glaube, dass das besser Leute beurteilen können, die das von außen sehen und mir das spiegeln. Mir selbst fällt das voll schwer, das zu erkennen – vielleicht auch, weil ich das noch nicht so lange mache. Schwer zu sagen. Aber es gibt in jedem einzelnen Video, das ich in den letzten 12 Monaten produziert habe, ein Narrativ, eine kleine Geschichte, die erzählt wird. Die wird auch nicht immer klassisch erzählt, sondern metaphorisch. Vielleicht ist das der rote Faden. Aber rein optisch gesehen müssen das andere beurteilen.


Ich würde sagen Julius Stil ist dynamisch, lebendig, ekstatisch. Oft auch düster angehaucht. Das kommt auch in dem Musikvideo “tides” von benzii zum Vorschein, indem die Emotion des Songs über den männlichen Darsteller verkörpert und transportiert werden soll. Oft arbeitet Julius über Emotionen und Orte, die ein bestimmtes Gefühl auslösen sollen und damit eine etwas abstraktere Geschichte erzählen. Auch bei seiner Konzertfotografie sei er stets darum bemüht, eine Geschichte zu erzählen, nämlich, wie er eine Show ganz persönlich wahrgenommen hat, sagt er. Gelingen tut das allemal (wie hier am Beispiel von NEUNUNDNEUNZIG).

picky Sofia: Wieviel freie Hand wird dir eigentlich gelassen, wenn du mit Künstler*innen zusammenarbeitest, deren Musik du visualisieren sollst? 

Julius: Das ist sehr projektabhängig. Aber es passiert eigentlich nie, dass ich etwas alleine mache. Es ist ja auch schön, sich zusammenzusetzen und sich auszutauschen, was man bei der Musik empfunden hat. 

picky Sofia: Wie intensiv beschäftigst du dich dann mit der Diskografie und dem Artist im Vorhinein? Wie wichtig ist der Zugang zur Musik für dich?

Julius: Wenn ich mir einen Song, den ich visualisieren soll, das erste Mal anhöre, passieren unterbewusst schon die ersten Sachen, die ich mir in meinem Kopf erstmal ganz grob vorstelle. Das sind so Fragen wie: Ist das ein helles oder dunkles Video? In welcher Umgebung findet das statt, ist es eher urban oder naturbehaftet? Entscheidungen passieren an der Stelle schon unterbewusst, aber meistens lasse ich erstmal den Song auf mich wirken und mich davon ein bisschen treiben. Nach mehrfachem Hören fange ich dann an, mir Notizen dazu zu machen, was ich dabei sehe. Auf dieser Grundlage schreibe ich dann ein Treatment. Wenn das steht und alle happy damit sind, geht’s los mit Drehen. 

Hier seht ihr einen Auszug eines Treatments, das Julius für ein Musikvideo angefertigt hat.

picky Sofia: Wir hatten bereits angerissen, dass du sowohl (Konzert-) Fotos als auch (Musik-) Videos machst. Was schöpfst du denn für dich und deine Kreativität aus den unterschiedlichen Bereichen?

Julius: Primär würde ich behaupten, dass ich Videos mache. Konzertfotografie gibt mir aber auch immer so viel, weil man dann plötzlich sieht und spürt, was vorher nur in einem digitalen Space stattgefunden hat, dass Musik auch in der analogen, echten Welt passiert. Am aller krassesten ist das, wenn Leute auf der Bühne stehen, mit denen ich befreundet bin oder für die ich auch schon mal gearbeitet habe. Dann zeigt mir das, dass es real ist und wirklich Emotionen bei Leuten auslöst. Ich kriege dann manchmal so einen Moment der Realisation, dass ich Teil davon bin, was mich total motiviert und meine Kreativität steigert. Es ist mega inspirierend dieses Gefühl mitzuerleben. Das passiert aber nicht nur bei Leuten, die ich kenne. Ich hatte dieses Gefühl zum Beispiel auch, als ich bei einem Konzert von 070 Shake Fotos gemacht habe, die seit Jahren einfach ein krasses Idol von mir ist.

Bei Musikvideos ist das ähnlich. Muss ja auch nicht mal meins sein, aber wenn ich zum Beispiel Videos von anderen sehe, die in mir was auslösen, denke ich immer: “Krasse Scheiße!”. Das, was mich inspiriert, ist primär das, was ich spüre. Wenn ich spüre, dass ein Video die Emotion des Songs perfekt abbildet oder –  noch besser – es löst eine neue Emotion aus, die man vielleicht nicht gehabt hätte, wenn man nur den Song gehört hätte. Das ist eine andere Ebene, die plötzlich aufgemacht wird. Das ist ja auch irgendwie das, was man erreichen möchte: man will Emotionen auslösen.


Das, was Julius am meisten inspiriert, ist also das, was der Konsum von Fotos aber vor allen Dingen Musikvideos auslöst. Wir sprechen im Zuge dessen über das zu diesem Zeitpunkt jüngst erschienene Musikvideo zu “Wellblech” von Nils Keppel, das Marina Mónaco gemacht hat und Julius nachhaltig beschäftigt hat. Shoutout an dieser Stelle.


picky Sofia: Verspürst du manchmal Druck, in deinen grafischen Ausarbeitungen besonders unique zu sein? 

Julius: Druck verspüre ich tatsächlich nicht. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich weiß, dass ich immer versuche abzubilden, was in meinem Kopf passiert. Ich glaube, dass das viele Kreative so machen. Jeder und jede hat seinen eigenen Kopf. Wenn alle einfach das abbilden, was bei ihnen da oben stattfindet, dann muss man sich nicht noch krasser abgrenzen. Jeder Mensch visualisiert Emotionen ja anders. Wenn ich Traurigkeit bebildere, kann das im Zweifelsfall ganz anders zu dem aussehen, wie eine andere Person das grafisch umgesetzt hätte. Ich finde, unsere Gedanken machen uns unique genug. Aber das ist auf jeden Fall ein großes Thema und ich finde es immer spannend mit anderen Foto- und Videograf*innen darüber zu sprechen. 

picky Sofia: Auch wenn du keinen Druck verspürst, siehst du dich manchmal in eine Art Konkurrenzkampf mit anderen Fotograf*innen und Videograf*innen in der Szene? Hast du den Eindruck, dass es eine sich gegenseitig unterstützende Bubble ist, in der du dich bewegst, oder gibt es auch Momente einer Ellenbogengesellschaft?

Julius: Sehr supportive alles, würde ich behaupten. Ich verstehe nicht so ganz, warum man überhaupt irgendwelche Sachen gatekeepen und Wissen nicht mit anderen teilen sollte. Ich wäre nicht an dem Punkt, wo ich jetzt bin, wenn mir andere Leute nicht hier und da mal eine Hilfestellung oder Tipps  gegeben hätten. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Aber overall ist es eine sehr supportive Szene zumindest die Leute, mit denen ich zu tun habe und denen ich begegnet bin. Was bei mir trotzdem immer so ein Ding ist, ist, dass man sich mit andere vergleicht. Ich glaube, dass ist auch durch Social Media befeuert. Ich folge einfach sehr vielen Leuten, die kreatives Zeug machen und deswegen denkt man auch mal: “Ich muss mehr machen, ich muss besser werden!” Vielleicht ist es auch eine gute Mentalität, sich das vorzunehmen, aber man muss aufpassen, dass es nicht in eine ungesunde Richtung abdriftet, wo man das nur sagt, weil man bei Social Media stets die geballte Ladung von anderen abbekommt. Das ist natürlich was anderes als Konkurrenzkampf, aber das kommt auch manchmal und dann muss man sich immer wieder in den Kopf rufen, dass man genug macht und auf sich aufpassen und achten muss. Ich mache das, was ich mache, aus Leidenschaft, aber ich will es auch gut machen und dafür nehme ich mir auch meine Zeit.

picky Sofia: Fühlst du dich als Person hinter der Kamera eigentlich genug gesehen bzw. willst du überhaupt gesehen werden?

Julius: Ich fühle mich schon gesehen, auf jeden Fall. Ich muss jetzt aber auch nicht im Spotlight sein, das überlasse ich gerne anderen Leuten und irgendwie finde ich es auch ganz smooth, dass es nicht immer klar erkennbar ist, dass ich das mache, was ich mache. Gleichzeitig hab ich auch schon mal überlegt, mehr Gesicht von mir zu zeigen, damit die Leute wissen, wer die Person ist, die dahintersteckt. Das ganze ein bisschen zu vermenschlichen; auch wenn ich’s nicer finde, wenn man eine Arbeit im Vordergrund steht und sie für mich spricht. Das ist so eine Gratwanderung, aber grundsätzlich fühle ich mich als Person genug gesehen. Manchmal wünsche ich mir aber, dass bestimmte Arbeiten von mir oder Musikvideos im Allgemeinen mehr appreciated werden. Die Entwicklung geht durch Social Media hinzu einer krass schnellen Art und Weise des Konsums von Medien und deswegen fänd ich es schön, wenn sich Leute wieder mehr Zeit nehmen, um Sachen anzuschauen. Sie vielleicht auch mehrmals anschauen und darüber nachdenken und nicht einfach nur in die Röhre glotzen und konsumieren auch wenn das natürlich jeder von uns manchmal so macht, da müssen wir uns alle nichts vormachen.


„VISION“ – eine konzeptionelle, visuell-ästhetische Auseinandersetzung mit Ton von EIUNDRUND.

Der geringen Aufmerksamkeitsspanne zum Trotz hat Julius als EIUNDRUND das Format „VISION“ initiiert –  eine experimentelle Herangehensweise an die Frage wie die Vereinigung von Bild und Ton im Rahmen des modernen und undankbar schnell gewordenen Medienkonsums des heutigen Zeitgeist als qualitativ hochwertiges, emotional geladenes und anspruchsvolles Stück Kunst präsentiert werden kann. Exemplarisch dafür: die VISION zu Urbannino’s Single „Du bist genauso..“.


picky Sofia: Gibt es zum Abschluss eine Arbeit von dir, auf die du besonders stolz bist, die du gerne einmal mit uns teilen willst?

Julius: Eigentlich ist das für mich immer mein aktuellstes Projekt, weil es einfach am besten widerspiegelt, wer ich bin und was ich gerade so mache. Daher stand jetzt das Musikvideo für benzii zu “Tides”. 

picky Sofia: Danke dir für das angenehme Gespräch.

Julius: Danke dir!

Hier könnt ihr besagtes Musikvideo ansehen: