Zwischen Indie Pop-Größen und Rap-Stars: Das About You Pangea Festival

Alle Fotos im Beitrag: Hannah Bechmann

Irgendwo bei Rostock, da gibt es einen Ort, der heißt Pütnitz an der See. Und der war dieses Jahr dank dem About You Pangea Festival wieder der Wallfahrtsort für musikbegeisterte Blogger*innen und Instagram-begeisterte Festivalfans. Wir waren für euch dort und haben natürlich auch ein paar schöne Fotos gemacht.

Eines muss man dem About You Pangea Festival 2022, kurz AYPF, lassen: Das Line-up ist nicht von dieser Welt. Für uns startet das Festival am Freitag mit einem kurzen Abstecher bei Philine Sonny, die schon beim Soundcheck einige angetrunkene Schaulustige für sich begeistern kann. Mit der langsam eintretenden Dämmerung betritt dann endlich Paula Hartmann die Bühne. Und einmal wieder reißt sie eine ganze Crowd in ihren Bann. Unermüdlich textsicher zeigt sich die brechend volle „El Barrio“-Stage und Paula ist, wie wir es von ihr gewohnt sind, so sympathisch überwältigt wie keine zweite. Immer wieder sieht man ihr an, wie emotional diese übermannshohe Zuspruchswelle für sie ist. Zu „Unsere letzte Nacht“ mosht Paula mit dem Publikum, tanzt mit Friso zu „Babyblau“ und steht während „Kein Happy End“ ganz kurz vor den Tränen.

Weiter geht es mit dem musikalischen Kontrastprogramm: $oho Bani. Schon bevor er seinen Fuß auf die Bühne setzt, ist die Crowd in bedingungslose Ekstase versetzt – eine Energie, wie man sie sonst von BHZ-Shows kennt. Wie wild springt $oho auf dem vor der Bühne stehenden Lautsprecher umher, der ab und an gefährlich zu wackeln beginnt. Aber das ist ihm egal. Irgendwo zwischen ohrenbetäubendem Gekreische aus der ersten Reihe, Aufforderungen zum Moshpit nach jeder Strophe und einer Schampus-Dusche für die ersten fünf Reihen bricht er sich lieber fast das Genick als innezuhalten – und das muss man ihm hoch anrechnen.

Alles andere als ein Desaster

Mindestens genauso motiviert, wie das $oho Bani-Publikum, ist das von Disarstar. Der Hamburg-Native hat ganz augenscheinlich einige Fans mobilisiert. Und nicht nur deshalb, sondern auch wegen der Live-Drums hat sein Auftritt umso mehr Nachdruck. Ehrliche Lyrics treffen auf Systemkritik, die sich so gar nicht nach Zeigefinger-Gehabe anfühlt. In 50 Minuten Set holt Disarstar alles raus, was rauszuholen ist.

Während die Rap-begeisterte Meute zu RIN weiterzieht, harren wir weiter vor derselben Bühne aus und warten auf keinen geringeren als Edwin Rosen. In gewohnt besonnener Manier betritt unser Lieblings-Strahlemann die Bühne und, nun ja, was soll man sagen. Man könnte jetzt zum dritten Mal den gewieften Witz machen, dass Edwin ja mal wieder ganz und gar nicht „mitleerenhänden“ dastünde und dann einmal wieder darüber schreiben, wie unglaublich fesselnd seine Live-Shows sind. Und das alles würde stimmen, denn Edwin Rosen ist einer der begabtesten, liebenswertesten, herzlichsten Newcomer, die es aktuell gibt. Das ist kein Geheimnis. Viel wichtiger ist es aber in den Vordergrund zu stellen, wie rücksichtsvoll Edwin auch während des Singens den Zustand der Crowd im Blick behält und sofort innehält, wenn er das Gefühl bekommt, es ginge jemandem nicht gut. Und so klingt unser Festivalfreitag mit einer Portion „Marmelade Und Himbeereis“ und einer No-Cameras-allowed-Version von „leichter//kälter“ aus.

Samstag aka deutscher Indie Pop-Heaven

Samstagnachmittag beglückt uns Publikumsmagnet Ennio mit schmerzlich ehrlichen Texten und seiner Stimme, die irgendwo zwischen Henning May und Vincent, Frontsänger der Band Provinz, liegt. Leider verpassen wir die ersten 20 Minuten des Sets, aber Ennio legt sich so sehr ins Zeug, dass wir das gar nicht merken. Mit einem Elan rennt er unermüdlich von einem Ende der Bühne zum anderen und schüttet uns in ruhigen Minuten sein Herz aus. So textsicher und laut wie sein Publikum ist, mag man kaum glauben, dass er mit seiner deutschsprachigen Musik vor nicht einmal einem Jahr die Bildfläche des deutschsprachigen Indie-Pop betreten hat. Und schon spielt er auf der Main Stage.

Für Verifiziert machen wir einen kurzer Abstecher an der „El Barrio“-Stage. Die Österreicherin dürfte spätestens seit ihrer Rolle als Support-Act auf Caspers Club-Tour im Mai diesen Jahres in aller Munde sein. Mit rohen, verletzlichen Parts über Rap-Beats trifft sie erwarteterweise genau den Zeitgeist und auch den Moshpit-Reflexpunkt.

Kein „Niemand“ mehr

Schnell wieder zurück zur Main Stage, gerade rechtzeitig für das Schmyt Set. Auch dieser Mann ist ein Phänomen sondergleichen, das schwer nachzuvollziehen ist. Aber eins ist klar: Kein deutschsprachiger Newcomer-Act macht live aktuell solch große Schritte. Eine restlos ausverkaufte Tour im Mai wird diesen Herbst abgelöst von einer Tour mittelgroßer Hallen, für die es ebenfalls keine Tickets mehr zu ergattern gibt. Dazu der immer große Andrang bei seinen Festival-Slots – Schmyt ist Bubble-Superstar. Und auch auf dem AYPF empfängt ihn die Crowd mit offenen Armen. Textsicher as ever singt sie jeden Song mit, freut sich über das Lil Nas X-„Monoton“-Mash up und feiert Paul Albrechts Drum-Soli ab. Mitten im Set will uns Schmyt noch seinen Newcomer-Geheimtipp Ennio weiterempfehlen, merkt dabei aber schnell, dass der Tipp wohl leider doch nicht so geheim ist. Nicht schlimm, die Essenz bleibt: Alle lieben Ennio.

Auf geht es in den Endspurt. Die Brüder Matti und Jakob Bruckner zerrocken uns fast gänzlich. Sie feiern mit uns eine riesige Dance-Party bevor die wahre Eskalation beginnt: Jakob stagedived, verliert dabei sein In-Ear-Monitoring, findet sein In-Ear-Monitoring wieder (dank hilfsbereitem Fan). Es wird gemosht, gesungen, geklatscht. Kurz: Es sind fabelhafte 50 Minuten die uns die beiden Bruckner-Boys gemeinsam mit ihrer Live-Band bescheren.

Kuschlig aufgewärmt kommen wir zum letzten Act des Festivals: Provinz. Leicht angefröstelt fängt die Stimmung langsam wieder an zu brodeln und als die vier Jungs die Bühne betreten und ihr Set mit „Hymne gegen euch“ eröffnen, da kocht sie wieder. Die riesige, emotionalisierte Menge vor der Bühne singt mit Vincent zu „Zwei Menschen“, tanzt zu Mosses Bass-Solo und feiert im Chor „Liebe zu Dritt“. Zu „Reicht dir das“ fließen die Tränen, während „Tanz für mich“ zum Abriss aufruft. Einen schöneren, wärmeren, erfüllenderen Festivalabschluss hätten wir uns nicht träumen lassen.

Die Quintessenz des About You Pangea Festivals 2022? Die perfekte Mischung aus Rap-Acts und Indie-Pop Ikonen. Geniales Wetter. Ein Träumchen von Gelände-Design. Ein Ablauf, der entspannter nicht hätte sein können. Das Fazit? Hoffentlich wird es nächstes Jahr mindestens genauso schön!